Leitsatz (amtlich)
1. Die Zuständigkeit der deutschen Gerichte für eine richterliche Anordnung nach § 101 Abs. 9 UrhG kann nicht auf Art. 5 Nr. 3 Brüssel-I-VO gestützt werden, wenn der betreffende Internet-ServiceProvider seinen Sitz in Großbritannien hat. Das Verfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG stellt keine Rechtsstreitigkeit im Sinne der genannten Verordnung (EG) Nr. 44/2001 dar. Es handelt sich dabei nicht um ein gegen einen Dritten gerichtetes kontradiktorisches Auskunftsverfahren, sondern um ein Verfahren betreffend eine (vorherige) gerichtliche Entscheidung, welche die Verwendung von Verkehrsdaten zur Auskunftserteilung zulässt.
2. Verletzte i.S.d. § 101 Abs. 9 Satz 1 UrhG sind, bezogen auf § 85 UrhG, der Inhaber eines Leistungsschutzrechts nach § 85 UrhG sowie der Inhaber eines ausschließlichen Nutzungsrechts bezüglich eines solchen Leistungsschutzrechts. Der Inhaber eines diesbezüglichen einfachen Nutzungsrechts ist hingegen nicht Verletzter.
Normenkette
UrhG §§ 85, 101 Abs. 9; Brüssel-I-VO Art. 1 Abs. 1, Art. 5 Nr. 3
Verfahrensgang
LG München I (Beschluss vom 25.08.2011; Aktenzeichen 33 O 18641/11) |
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1. gegen den Beschluss des LG München I vom 25.8.2011 wird zurückgewiesen.
2. Die Beteiligte zu 1. hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe
I. Die Beteiligte zu 1., eine GmbH mit Sitz im Inland, macht Rechte aus § 85 UrhG bezüglich des Musikwerks "A. (B.)" der Künstlergruppe "C. D." geltend.
Die in London/Großbritannien ansässige Beteiligte zu 2. bietet als Internet-Service-Provider u.a. die Dienstleistung der Verschaffung des Zugangs zum Internet an.
Die Beteiligte zu 1. hat mit Schriftsatz vom 25.8.2011 beim LG beantragt, im Wege der einstweiligen Verfügung wie folgt zu erkennen:
1. Der Beteiligten zu 2. wird gestattet, der Beteiligten zu 1. unter Verwendung von Verkehrsdaten i.S.d. § 3 TKG Auskunft zu erteilen über Namen und Anschriften derjenigen Internetnutzer, denen die in der Anlage AST 1 zu der beigefügten Antragsschrift aufgeführten IP-Adressen zu den dort genannten Zeiten zugewiesen waren;
2. Der Beteiligten zu 2. wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, die in der Anlage AST 1 zu der beigefügten Antragsschrift aufgeführten IP-Adressen in Verbindung mit den jeweiligen Tatzeitpunkten sowie diejenigen Datensätze (z.B. interne Kundenbezeichnung, Kundennummer, Benutzernummer, Login-Kennung), die es der Beteiligten zu 2. ermöglichen, eine Zuordnung zu den jeweiligen Nutzern vorzunehmen, denen zu den Tatzeitpunkten die aufgeführten IP-Adressen zugewiesen waren, zu sichern, bis ein etwaiger Auskunftsanspruch der Beteiligten zu 1. nach § 101 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UrhG erfüllt ist oder von einem Gericht rechtskräftig festgestellt worden ist, dass die Beteiligte zu 2. zu einer Erteilung der Auskunft nicht verpflichtet ist.
Mit Beschluss vom 25.8.2011 hat das LG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sowie eines Beschlusses gem. § 101 Abs. 9 UrhG mit der Begründung zurückgewiesen, dass das angerufene Gericht nicht zuständig sei. Auf diesen Beschluss wird Bezug genommen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 1. vom 26.8.2011.
Das LG hat der Beschwerde der Beteiligten zu 1. mit Beschluss vom 30.8.2011 nicht abgeholfen.
Ergänzend wird auf die Schriftsätze der Beteiligten zu 1. Bezug genommen.
II. Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
1. Die Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die richterliche Anordnung über die Zulässigkeit der Verwendung von Verkehrsdaten i.S.v. § 101 Abs. 9 UrhG kann im Streitfall - entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 1. - nicht auf Art. 5 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüssel-I-VO) gestützt werden.
Insoweit ist der sachliche Anwendungsbereich dieser Verordnung nicht eröffnet. Nach Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Brüssel-I-VO ist diese Verordnung in Zivil- und Handelssachen anzuwenden, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt. Der Begriff "Zivil- und Handelssachen'" ist als autonomer Begriff anzusehen, bei dessen Auslegung die Zielsetzungen und die Systematik der genannten Verordnung sowie die allgemeinen Rechtsgrundsätze, die sich aus der Gesamtheit der nationalen Rechtsordnungen ergeben, berücksichtigt werden müssen (vgl. EuGH, Urt. v. 15.2.2007 - C 292/05, Rz. 30, juris - Lechoritou). Aus dem Erwägungsgrund Nr. 8 der Verordnung Nr. 44/2001 ergibt sich, dass unter die Verordnung nur Rechtsstreitigkeiten zwischen Parteien fallen. Für die Feststellung, ob eine Rechtsstreitigkeit in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 fällt, ist der Gegenstand des Verfahrens zu berücksichtigen (vgl. EuGH, Urt. v. 10.2.2009 - C 185/07, Rz. 22 - West Tankers). Das Verfahren betreffend den Erlass einer richterlichen Anordnung über die Zulässigkeit der Verwendung von Verkehrsdaten nach § 101 Abs. 9 UrhG stellt keine Rechtsstreitigk...