Leitsatz (amtlich)

1. Zur Auslegung der von den Ehegatten - neben ihrer letztwilligen Verfügung der gegenseitigen Einsetzung als Alleinerben - verwendeten Klausel "Bei einem gemeinsamen Tode z.B. Unfall fällt der gesamte Nachlaß an unsere Nichte...".

2. Eine solche Formulierung kann im Einzelfall auch die Auslegung ergeben, dass die Ehegatten nicht nur den Fall des gleichzeitigen Todes geregelt wissen wollten, sondern auch ein zeitliches Nacheinanderversterben unter der Voraussetzung, dass der überlebende Ehegatte nach dem Tod des Vorversterbens nicht mehr in der Lage ist, eine (weitere) letztwillige Verfügung von Todes wegen zu errichten.

3. An die Feststellung, dass der überlebende Ehegatte nach dem Tod des erstversterbenden nicht mehr in der Lage war, selbst zu testieren, sind strenge Anforderungen zu stellen.

4. Für die Bejahung einer Verhinderung des überlebenden Ehegatten an einer Testierung genügt es nicht auf abstrakt-generelle Kriterien (zB "Länge des Zeitraums, der zwischen den Todeszeitpunkten liegt, Trauerphase, organisatorischer Aufwand, Länge der Ehe, gesundheitliche Situation und das Alter des überlebenden Ehegatten) abzustellen. Vielmehr bedarf es deren Feststellung in ihrer konkreten Ausprägung im jeweiligen Einzelfall."

5. Den Antrag auf Zurückverweisung an das Ausgangsgericht wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels kann auch ein Beteiligter stellen, der durch die Entscheidung des Ausgangsgerichts nicht beschwert ist.

 

Normenkette

BGB § 2269; FamFG §§ 26, 69 Abs. 1 S. 3

 

Verfahrensgang

AG München (Aktenzeichen 68 VI 3879/16)

 

Tenor

1. Der Beschluss des Amtsgerichts München - Nachlassgericht - vom 21.12.2016 und das zugrunde liegende Verfahren werden aufgehoben.

2. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens und zur hierfür gegebenenfalls vorab erforderlichen Festsetzung des Geschäftswerts für das Beschwerdeverfahren an das Nachlassgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I. Die zulässige Beschwerde führt zur Aufhebung des Beschlusses vom 21.12.2016 und zur Zurückverweisung der Sache an das Nachlassgericht gemäß § 69 Abs. 1, S. 3 FamFG.

Die Beschwerde ist dem Senat zur Entscheidung angefallen. In dem aus dem Beschlussausspruch ersichtlichen Umfang hat es auch in der Sache (vorläufigen) Erfolg.

Die vom Nachlassgericht zur Erteilung des von der Beteiligten zu 1 am 1.9.2016 beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen stehen entgegen der Auffassung des Nachlassgerichts derzeit nicht abschließend fest.

1. Maßgebend für die Beurteilung der von den Ehegatten getroffenen Anordnung ist der Wille der beiden Ehegatten allein im Zeitpunkt der Testamentserrichtung, also zum 15.6.1992.

a) Die Ehegatten haben mit der Formulierung ("Wir setzen uns gegenseitig als Alleinerben ein") den Fall des Erstversterbens des jeweiligen Ehegatten regelt.

b) Daneben haben sie mit der Formulierung ("Der überlebende Ehegatte bestimmt den 'Nacherben' (richtig wohl: Schlusserben") gerade keine Anordnung für den Fall des Todes des überlebenden Ehegatten getroffen, sondern die Regelung der Erbfolge nach dem Ableben des überlebenden Ehegatten bewusst offen gelassen.

Damit bleibt der Fall des Ablebens des überlebenden Ehegatten ungeregelt, sodass grundsätzlich bei einem Ableben des überlebenden Ehegatten im Falle, dass dieser keine weitere letztwillige Verfügung errichtet, gesetzliche Erbfolge nach dem überlebenden Ehegatten eintritt. Diese von den Ehegatten getroffene Anordnung hat somit im Falle der Nichterrichtung eines Testaments durch den Überlebenden zur Folge, dass die "Schlusserbfolge" davon abhängt, welcher der Ehegatten den anderen überlebt. Ob diese Folge von den Ehegatten gewünscht ist oder nicht, ist unmaßgeblich, sondern Folge der von ihnen getroffenen letztwilligen Verfügungen. Auch ist unmaßgeblich, dass der Eintritt der gesetzlichen Erbfolge (infolge Unterlassen einer Testierung durch den überlebenden Ehegatten) etwaig nicht dem grundsätzlichen Willen der Ehegatten entspricht, sondern Konsequenz der Nichttestierung (vgl. OLG München FamRZ 2010, 1941).

2. Da also die Ehegatten den Fall des Nacheinanderversterbens bewusst nicht geregelt haben, ist Kernfrage, welchen Fall die Ehegatten mit der Formulierung ("Bei einem gemeinsamen Tode, z.B. Unfall) mit ihrer Anordnung geregelt wissen wollten, mit der sie die Beteiligte zu 1 zu ihrer Alleinerbin eingesetzt haben."

a) Bei der Testamentsauslegung gemäß § 133 BGB kommt es auf den wirklichen Willen des Erblassers an, ohne am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften (BGH ZEV 1997, 376; FamRZ 2012, 26; Leipold in: MüKo/BGB, 7. Auflage ≪2017 ≫ § 2084 Rn. 1). Im Hinblick auf die von den Ehegatten getroffenen Erbeinsetzung zugunsten der Beteiligten zu 1 ist jedoch der gemeinsame Wille der Ehegatten maßgebend, also welche Vorstellung die Ehegatten im Zeitpunkt der Testamentserrichtung mit der von ihnen gewählten Formulierung hatten.

b) Im Hinblick darauf, dass sie den Fall des Nacheinanderversterbens bewusst nicht geregelt haben (s.o....

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