Entscheidungsstichwort (Thema)

Kapitalanleger-Musterverfahren: Wiederaufnahme eines zu Unrecht ausgesetzten Verfahrens; Verfahrensweise im Fall einer unterbliebenen Aussetzungsbeschlussanfechtung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Stützt ein Kapitalanleger seinen Schadensersatzanspruch sowohl auf Prospekthaftung als auch auf eine vorvertragliche Aufklärungspflichtverletzung des zur Finanzierung der Anlage abgeschlossenen Darlehensvertrages, kommt eine Verfahrensaussetzung nach § 7 Abs. 1 KapMuG auch hinsichtlich des Anspruchs aus vorvertraglicher Pflichtverletzung mangels Vorgreiflichkeit nicht in Betracht. Nur soweit eine Prospekthaftung und damit Ansprüche wegen einer fehlerhaften öffentlichen Kapitalmarktinformation geltend gemacht werden, kann ein Schadensersatzprozess durch das Prozessgericht ausgesetzt werden.(Rz. 16)

2. Hat ein Prozessgericht ein nicht KapMuG-fähiges Verfahren zu Unrecht ausgesetzt und ist eine Aussetzungsbeschlussanfechtung unterblieben, kann das Verfahren durch Aufhebung des Beschlusses im Rahmen des Beschwerdeverfahrens fortgesetzt werden, wodurch eine Fortsetzung per se eintritt.(Rz. 20)

 

Normenkette

BGB § 311 Abs. 2 Nr. 2; KapMuG § 7 Abs. 1; ZPO §§ 252, 567 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

LG München I (Beschluss vom 06.09.2011; Aktenzeichen 28 O 23490/08)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 11.09.2012; Aktenzeichen XI ZB 32/11)

 

Tenor

1) Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des LG München I vom 6.9.2011 aufgehoben.

2) Eine Kostenentscheidung ergeht nicht.

3) Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit der von dem Kläger am 23.8.2004 gezeichneten Beteiligung zu einem Nennwert von 25.000 EUR an der Film- und Entertainment VIP Medienfonds 4 GmbH & Co. KG (...) und mit dem konzeptionsgemäß hierfür mit der Beklagten zur teilweisen Finanzierung der Anlage eingegangenen Darlehensvertrag über 11.375 EUR.

Er stützt seine Klage zum einen auf einen behaupteten Anspruch aus Prospekthaftung im engeren Sinne mit der Begründung, der für die Anlage herausgegebene und (auch) von der Beklagten zu verantwortende Prospekt sei inhaltlich aus mehreren Gründen falsch, zum anderen auf einen behaupteten Anspruch wegen Aufklärungspflichtverletzung bei Eingehung des Darlehensvertrages, § 311 Abs. 2 BGB.

Der Kläger trägt u.a. vor, die Beklagte habe die Fehlerhaftigkeit bzw. den irreführenden Charakter des Prospekts bereits im März 2004 und damit vor Abschluss des Darlehensvertrages mit ihm, dem Kläger, gekannt. Er fordert daher von der Beklagten Zug um Zug gegen Abtretung der treuhänderischen Beteiligung die Rückzahlung des aus Eigenmitteln erbrachten Beteiligungsteilbetrages nebst Zinsen ab Zeichnung, die Feststellung, dass der Beklagten aus dem zum Zwecke der Teilfinanzierung der Beteiligung eingegangenen Darlehensvertrag keine Ansprüche gegen ihn - den Kläger - zustehen, und die Verurteilung der Beklagten zur Freistellung von sämtlichen weiteren steuerlichen und wirtschaftlichen Nachteilen, die für ihn - den Kläger - aus der Anlage resultieren.

Die Beklagte hält sich dagegen nicht für verpflichtet, Schadensersatz zu leisten.

Beim OLG München ist unter dem Aktenzeichen KAP 1/07 ein Verfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz anhängig. Die Beklagte ist dort Musterbeklagte zu 2). Zu klären sind in diesem Verfahren - soweit es die hiesige Beklagte betrifft - deren Prospektverantwortlichkeit (Feststellungsziel Nr. 3) und als Feststellungsziel Nr. 1 die Fehlerhaftigkeit des Prospekts unter mehreren Gesichtspunkten. Zum Feststellungsziel Nr. 1 ist als Streitpunkt (1) die fehlerhafte Darstellung des steuerrechtlichen Anerkennungsrisikos im Prospekt geltend gemacht. Tatsächliche Zahlungsflüsse und deren Modalitäten (einschließlich der zeitlichen Abfolge) entsprächen nicht den Prospektangaben und hätten steuerschädliche Auswirkungen. Auf den im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlichten Vorlagebeschluss gem. § 4 KapMuG wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.

Die Beklagte meint, die im Musterverfahren zu treffenden Feststellungen seien für die Entscheidung des Verfahrens - auch hinsichtlich des Anspruchs aus vorvertraglicher Pflichtverletzung - vorgreiflich i.S.d. § 7 Abs. 1 KapMuG.

Der Kläger hat gegenüber der Beklagten den Widerruf seiner auf Abschluss des Anteilsfinanzierungsdarlehens gerichteten Willenserklärung erklärt (...).

Das LG hat mit Beschluss vom 19.11.2009 das Verfahren nach § 7 KapMuG mit im Einzelnen begründetem Beschluss ausgesetzt (...). Dieser Beschluss wurde den Klägervertretern am 4.12.2009 zugestellt; Rechtsbehelfe gegen den Beschluss haben die Parteien nicht eingelegt.

Mit am 12.9.2011 zugestelltem Beschluss vom 6.9.2011 (...) hat das LG den (mit der Wiederholung der teils abgeänderten Klageanträgen verbundenen) Antrag des Klägers vom 22.8.2011 auf Fortsetzung des Verfahrens abgelehnt mit der Begründung, der Aussetzungsbeschluss sei anfechtbar gewesen, aber nicht angefochten worden; einer Wiederaufnahme stehe ...

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