Leitsatz (amtlich)

  • 1.

    Bei dem fakultativen Haftgrund des § 62 Abs. 2 Satz 2 AufenthG handelt es sich um eine Ermessensentscheidung.

  • 2.

    Die Ermessensausübung des Beschwerdegerichts im Rahmen des § 62 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ist fehlerhaft, wenn das Gericht einseitig die Kosten der Luftabschiebung, die im Falle eines Untertauchens des Betroffenen umsonst aufgewendet worden wären, zur Rechtmäßigkeitsbegründung der Abschiebungshaft heranzieht und nicht erörtert, dass der Betroffene einen festen Wohnsitz (und wohl auch festen Arbeitsplatz) hat und dort auch anzutreffen ist, dass er für die Ausländerbehörde stets erreichbar ist und seine Rechtsmittel gegen die Ausweisungsverfügung noch nicht endgültig erschöpft sind; unter diesen Umständen ist eine Ermessensentscheidung des Beschwerdegerichts ohne Anhörung des Betroffenen nicht möglich.

  • 3.

    Ist der Betroffene im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung bereits abgeschoben und seine Anhörung tatsächlich nicht mehr möglich, kann die Ermessensentscheidung des Beschwerdegerichts nicht mehr unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände ergehen.

 

Verfahrensgang

LG Nürnberg-Fürth (Entscheidung vom 27.04.2007; Aktenzeichen 18 T 2269/07)

AG Nürnberg (Entscheidung vom 10.03.2007; Aktenzeichen 57 XIV 25/07)

 

Gründe

I.

Die Ausländerbehörde betrieb die Abschiebung des Betroffenen, eines türkischen Staatsangehörigen. Dieser reiste erstmals am 8.6.2003 in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein. Am 14.6.2004 erteilte die Ausländerbehörde dem Betroffenen eine befristete Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Eheführung, da er seit 30.4.2001 mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet war. Die Aufenthaltserlaubnis wurde bis 13.6.2006 verlängert. Am 12.6.2006 beantragte der Betroffene die erneute Verlängerung, wobei er angab, von seiner Ehefrau getrennt zu leben. Mit Verfügung vom 24.7.2006 wurde der Antrag des Betroffenen abgelehnt und er unter Androhung der Abschiebung aufgefordert, bis 31.8.2006 aus Deutschland auszureisen. Ein gegen diese Anordnung gerichteter Eilantrag blieb erfolglos. Der Betroffene blieb dennoch in Deutschland. Daraufhin bereitete die Ausländerbehörde die Abschiebung des Betroffenen auf dem Luftweg für den 22.3.2007 vor und beantragte am 9.3.2007 beim Amtsgericht die Anordnung von Abschiebungshaft für die Dauer von zwei Wochen mit sofortiger Wirksamkeit gemäß § 62 Abs. 2 Satz 2 AufenthG. Die Ausländerbehörde wies dabei darauf hin, dass sich der Betroffene seit 1.9.2006 ohne den erforderlichen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufhalte. Der Betroffene wurde am 9.3.2007 in seiner Wohnung festgenommen. Er machte bei seiner Anhörung durch das Amtsgericht geltend, sein Anwalt habe ihm nicht mitgeteilt, dass er bis zum 31.8.2006 hätte ausreisen müssen. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 10.3.2007 mit sofortiger Wirksamkeit Abschiebungshaft auf die Dauer von längstens zwei Wochen angeordnet und dies auf den Haftgrund des § 62 Satz 1 Nr. 5 AufenthG gestützt, da es die Überzeugung habe, der Betroffene würde nicht freiwillig das Bundesgebiet verlassen. Ohne Inhaftierung könne die Abschiebung nicht durchgeführt werden. Weitere Feststellungen dazu traf das Amtsgericht nicht.

Gegen diesen Beschluss hat der Betroffene sofortige Beschwerde eingelegt. Er wurde am 22.3.2007 abgeschoben. Mit Schriftsatz vom 5.4.2007 hat sein Verfahrensbevollmächtigter die Hauptsache für erledigt erklärt und die Feststellung beantragt, dass die Anordnung der Abschiebungshaft rechtswidrig war. Zugleich hat er beantragt, der Ausländerbehörde die Kosten des Abschiebungshaftverfahrens aufzuerlegen. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 27.4.2007 die sofortige Beschwerde des Betroffenen zurückgewiesen und dabei die Haftvoraussetzungen des § 62 Abs. 2 Satz 2 AufenthG bejaht. Dagegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen, der geltend macht, es hätten weder die Voraussetzungen für eine Haftanordnung gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG noch gemäß § 62 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vorgelegen.

II.

Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Rechtsmittel des Betroffenen erweist sich sowohl im Feststellungsbegehren als auch im Kostenantrag als erfolgreich.

1.

Das Landgericht hat festgestellt:

Die sofortige Beschwerde des Betroffenen sei zulässig. Nach Beschwerdeeinlegung habe sich die Hauptsache durch die Abschiebung des Betroffenen erledigt, so dass dazu eine Sachentscheidung nicht mehr ergehen könne. Nach Eintritt der Erledigung bleibe das Rechtsmittel aber mit dem hier verfolgten Ziel zulässig, festzustellen, dass die Anordnung der Abschiebungshaft rechtswidrig gewesen sei. Dieser Antrag könne auch mit dem Antrag verbunden werden, der Gebietskörperschaft, der die Ausländerbehörde angehöre, die Auslagen des Betroffenen aufzuerlegen.

Das Rechtsmittel des Betroffenen sei jedoch nicht begründet. Der Betroffene sei vollziehbar ausreisepflichtig gewesen. Zwar hätten die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG nicht vorgelegen, da ein beg...

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