Leitsatz (amtlich)
1. § 246 Abs. 3 Satz 2 AktG begründet für die aktienrechtliche Anfechtungsklage die ausschließliche funktionelle Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen. In entsprechender Anwendung dieser Vorschrift ist die Kammer für Handelssachen auch für Anfechtungsklagen betreffend Beschlüsse der Gesellschafterversammlung einer GmbH funktionell ausschließlich zuständig.
2. Ein bürgerlicher Rechtsstreit, für den die ausschließliche Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen begründet ist, kann von der Zivilkammer in jedem Stadium des Verfahrens von Amts wegen an die Kammer für Handelssachen abgegeben werden.
Normenkette
AktG § 246 Abs. 3; GmbHG § 47; GVG § 94 ff.; SpruchG § 2
Verfahrensgang
LG München I (Aktenzeichen 3 HKO 64/06) |
LG München I (Aktenzeichen 28 O 64/06) |
Gründe
I. Beide Parteien sind Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit Sitz in München. Die Klägerin ist Gesellschafterin der Beklagten. Sie hat am 3.1.2006 zum LG Anfechtungs- und Feststellungsklage im Hinblick auf Beschlüsse der Gesellschafterversammlung vom 21.10.2005 erhoben. Eine Verweisung an die Kammer für Handelssachen wurde von Seiten der Beklagten nicht beantragt. Vor der Zivilkammer fand am 27.4.2006 eine mündliche Verhandlung zur Sache statt, aufgrund derer am 1.8.2006 Beweisbeschluss erlassen wurde. Am 6.10.2006 erging ein weiterer Beweisbeschluss nach § 358a ZPO. Am 11.1.2007 fand eine Beweisaufnahme statt. Der zur Fortsetzung der Beweisaufnahme bestimmte Termin vom 10.5.2007 wurde nach Richterwechsel mit Verfügung vom 9.5.2007 abgesetzt. Zugleich wurde darauf hingewiesen, dass die Kammer für Handelssachen funktionell ausschließlich zuständig und eine Verweisung an diese beabsichtigt sei. Mit Beschluss vom 29.6.2007 erklärte sich die Zivilkammer für funktionell unzuständig und verwies den Rechtsstreit an die Kammer für Handelssachen, die die Übernahme des Verfahrens ablehnte.
II. Das OLG München ist zur Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts zwischen der Zivilkammer und der Handelskammer entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO berufen (vgl. Zöller/Vollkommer ZPO 26. Aufl., § 36 Rz. 29; Thomas/Putzo, ZPO, 28. Aufl., § 36 Rz. 21).
Zuständig ist die Kammer für Handelssachen. Das ergibt sich allerdings nicht schon daraus, dass die Kammer für Handelssachen an den "Verweisungsbeschluss" der Zivilkammer vom 29.6.2007 gebunden wäre. Denn bei der von der Zivilkammer ausgesprochenen "Verweisung" handelt es sich der Sache nach, wie unten noch ausgeführt wird, um eine bloße Abgabe, der von vornherein keine Bindungswirkung zukommt.
1. Für die am 3.1.2006 eingegangene Klage ist die ausschließliche Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen entsprechend § 246 Abs. 3 Satz 2 AktG gegeben.
a) Die Anfechtung von Beschlüssen der Gesellschafterversammlung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist gesetzlich nicht geregelt. Nach herrschender Meinung und ständiger Rechtsprechung erfolgt sie in entsprechender Anwendung von Vorschriften des Aktienrechts durch Anfechtungsklage, für die nach § 246 Abs. 3 Satz 1 AktG analog ausschließlich das LG zuständig ist, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat (vgl. BGHZ 22, 101/105; Rowedder/Koppensteiner GmbHG 4. Aufl., § 47 Rz. 143; Zöllner in Baumbach/Hueck GmbHG 18. Aufl. Anh. § 47 Rz. 168; a.A. LG München I v. 28.3.1996 - 17 HKO 3978/96, MDR 1996, 1294 = NJW-RR 1997, 291).
Durch den mit Wirkung vom 1.11.2005 eingefügten § 246 Abs. 3 Satz 2 AktG wurde ferner festgelegt: "Ist bei dem LG eine Kammer für Handelssachen gebildet, so entscheidet diese an Stelle der Zivilkammer." Damit wird die ausschließliche funktionelle Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen begründet mit der Folge, dass nur diese zur Entscheidung berufen ist. Andernfalls wäre die neu geschaffene Regelung des § 246 Abs. 3 Satz 2 AktG überflüssig, denn die Verfahren nach § 246 Abs. 3 Satz 1 AktG waren bereits zuvor nach § 95 Abs. 2 GVG Handelssachen, die nach den Vorschriften der §§ 96 ff. GVG auf Antrag einer der Parteien vor die Kammer für Handelssachen gebracht werden konnten. Zudem nimmt die Begründung des Gesetzentwurfs ausdrücklich Bezug auf den wortgleichen § 132 Abs. 1 Satz 2 AktG, der eine ausschließliche Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen begründet (vgl. Hüffer AktG 7. Aufl., § 132 Rz. 6), ebenso wie § 142 Abs. 5 Satz 4 AktG und § 2 Abs. 2 SpruchG (vgl. Hüffer, § 2 SpruchG Rz. 5; MünchKomm/AktG/Volhard § 2 SpruchG Rz. 4) und § 30 Abs. 1 Satz 2 FGG (Keidel/Meyer/Holz FGG 15. Aufl., § 30 Rz. 4).
b) Wie § 246 Abs. 3 Satz 1 AktG ist auch § 246 Abs. 3 Satz 2 AktG entsprechend auf Anfechtungsklagen gegen Beschlüsse der Gesellschafterversammlung einer GmbH anzuwenden: Beide Vorschriften verfolgen das Ziel der Konzentration von Anfechtungsklagen gegen Gesellschafterbeschlüsse, zum einen in örtlicher und sachlicher, zum anderen in funktioneller Hinsicht. Mit der verbindlichen Zuweisung dieser Verfahren an die Kammer für Handelssachen wird vor allem deren besondere Sachkunde nutzbar gemacht. Dieser Gesichtspunkt gilt in ...