Leitsatz (amtlich)

Die Anordnung von Sicherungshaft auf der Grundlage des § 62 Abs. 2 S. 2 AufenthG verlangt vom Tatrichter eine pflichtgemäße Ermessensausübung. Diese muss, um eine Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht zu ermöglichen, in der Begründung der Entscheidung ihren Niederschlag finden.

 

Normenkette

AufenthG § 62 Abs. 2 S. 2; FreihEntzG § 6 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Kempten (Beschluss vom 18.11.2005; Aktenzeichen 42 T 2487/05)

 

Tenor

I. Der Antragstellerin wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt. Ihr wird Rechtsanwalt K., beigeordnet.

II. Es wird festgestellt, dass die Abschiebungshaftanordnung des AG Kempten (Allgäu) vom 11.11.2005 und der sie bestätigende Beschluss des LG Kempten (Allgäu) vom 18.11.2005 rechtswidrig waren.

Im Übrigen wird die sofortige weitere Beschwerde zurückgewiesen.

 

Gründe

I. Die Ausländerbehörde betrieb die Abschiebung der Betroffenen, einer vietnamesischen Staatsangehörigen. Die Betroffene reiste ihren Angaben zufolge am 10.4.2005 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 2.5.2005 die Anerkennung als Asylberechtigte. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte mit Bescheid vom 12.5.2005 den Antrag als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht bestehen, und forderte die Ausländerin auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Zugleich wurde der Betroffenen die Abschiebung nach Vietnam angedroht. Der Bescheid ist seit 26.5.2005 bestandskräftig.

Mit der Begründung, die Betroffene sei nicht während der ihr gesetzten Ausreisefrist ausgereist, habe ihren vietnamesischen Reisepass ggü. der Behörde über Monate unterdrückt, um eine Ausreise zu verhindern, und habe deshalb aufgrund ihres bisherigen Verhaltens zu erkennen gegeben, dass sie ihrer Ausreisepflicht nicht nachkommen werde, hat die Ausländerbehörde am 11.11.2005 beim AG Antrag auf Sicherungshaft gem. § 62 Abs. 2 S. 2 AufenthG für die Dauer von zwei Wochen zur Sicherung der für den 18.11.2005 vorgesehenen Abschiebung gestellt. Diesem Antrag hat das AG am 11.11.2005 entsprochen und die sofortige Wirksamkeit seiner Entscheidung angeordnet. Die sofortige Beschwerde vom 16.11.2005 hat das LG ohne erneute Anhörung der Betroffenen am 17.11.2005 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der anwaltlich vertretenen Betroffenen vom 18.11.2005, mit der sie zugleich Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren unter Anwaltsbeiordnung beantragt.

Die Betroffene wurde am 18.11.2005 nach Vietnam abgeschoben. Die Antragstellerin hat deshalb ihren Antrag zugleich mit der Einlegung ihres Rechtsmittels dahin umgestellt, die Rechtswidrigkeit der ergangenen Abschiebungshaftanordnung festzustellen und der beteiligten Ausländerbehörde die Verfahrenskosten in sämtlichen Rechtszügen aufzuerlegen.

II. Das zulässige Rechtsmittel erweist sich im Feststellungsantrag als begründet; hingegen kann die beantragte Erstattungsanordnung nicht getroffen werden.

1. Die Abschiebung der Betroffenen am 18.11.2005 und damit die Beendigung der Haft noch vor Einreichung der Beschwerdeschrift steht der Zulässigkeit der sofortigen weiteren Beschwerde nicht entgegen. Eine dadurch eingetretene Erledigung der Hauptsache lässt im Allgemeinen nicht das Rechtsschutzbedürfnis für ein Rechtsmittel in Freiheitsentziehungssachen entfallen. Der Rechtsmittelführer kann sein Rechtsmittel mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit der aufgrund der angefochtenen Haftanordnung vollzogenen Freiheitsentziehung einlegen (oder aufrechterhalten); er kann sein Rechtsmittel aber auch auf die Kostenfrage beschränken mit dem Ziel, im Rahmen der Kostenentscheidung gerichtlich prüfen zu lassen (vgl. § 16 S. 1 FreihEntzG), ob seine zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen die Gebietskörperschaft zu tragen hat, der die Verwaltungsbehörde angehört, deren Antrag zur Freiheitsentziehung geführt hatte (z.B. OLG München, Beschl. v. 24.2.2005 - 34 Wx 010/05 m.w.N.; Beschl. v. 24.10.2005 - 34 Wx 140/05). Ebenso wenig bestehen grundsätzliche Bedenken, den Antrag mit dem hier erkennbaren Ziel weiterzuverfolgen, die Rechtswidrigkeit der vom AG getroffenen und vom LG aufrechterhaltenen Haftanordnung umfassend feststellen zu lassen (s. auch OLG München, Beschl. v. 16.1.2006 - 34 Wx 161/05). Auch wenn die landgerichtliche Beschwerdeentscheidung gem. § 23 FGG auf der Grundlage der zu diesem Zeitpunkt gegebenen Sachlage ergangen ist (vgl. BGH v. 6.12.1979 - VII ZB 11/79, BGHZ 75, 375 [380] = MDR 1980, 393), sieht sich der Senat als Rechtsbeschwerdegericht in der Lage, selbst die Rechtmäßigkeit der auf der Haftanordnung vom 11.11.2005 beruhenden Freiheitsentziehung von diesem Zeitpunkt an zu beurteilen. Denn das LG hat keine ggü. der amtsgerichtlichen Entscheidung veränderte Tatsachenlage festgestellt. Auch der dem Senat zugängliche Akteninhalt gibt dafür nichts her. Ein Rechtsschutzbedürfnis ...

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