Entscheidungsstichwort (Thema)

Prozessvergleich in der Berufungsinstanz: Geltendmachung der Unwirksamkeit; Folgen eines Rücktritts vom Vergleich

 

Leitsatz (amtlich)

1. Dem Prozessvergleich wird die prozessbeendende Wirkung entzogen, wenn er aus sachlich-rechtlichen Gründen nichtig oder anfechtbar ist. Die auf die materielle Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit des Vergleichs gestützte Unwirksamkeit kann daher nur in dem Prozess geltend gemacht werden, in welchem der Vergleich geschlossen wurde.(Rz. 12)

2. Im Fall eines Rücktritts vom Vergleich entfällt die prozessbeendigende Wirkung nicht; vielmehr ist der Rechtsstreit nicht fortzuführen, sondern es müssen die sich aus dem Rücktritt ergebenden Einwendungen in einem neuen Rechtsstreit geltend gemacht werden.(Rz. 13)

 

Normenkette

BGB § 779

 

Verfahrensgang

LG München I (Aktenzeichen 10 O 2094/04)

 

Tenor

Der Antrag der Klägerin vom 2.3.2015 auf Fortsetzung des Rechtsstreits wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I.1. Die Antragstellerin ist kraft Erbfolge Rechtsnachfolgerin des vormaligen Klägers.

Der vormalige Kläger verkaufte und übereignete im Jahre 2002 dem Beklagten ein Grundstück zum Preis von 92.708 EUR. Er hielt den Verkauf und die Übereignung aus mehreren Gründen für unwirksam bzw. anfechtbar und machte mit seiner Klage vom 4.2.2004 im Wesentlichen die Rückabwicklung geltend.

Das LG hat die Klage abgewiesen.

Im Termin zur mündlichen Berufungsverhandlung vor dem Senat schlossen die Parteien am 31.3.2010 einen Vergleich (Bl. 439 d.A.), wonach - im Kern - der vormalige Kläger dem Beklagten 174.125 EUR zahlt (fällig spätestens am 15.6.2010) und der Beklagte dem Kläger das Grundstück zurücküberträgt.

Der Kläger konnte in der Folge die Vergleichssumme nicht aufbringen; der Beklagte hat am 25.3.2011 den Rücktritt von den im Vergleich getroffenen Vereinbarungen erklärt.

2. Mit Anwaltsschriftsatz vom 20.4.2011 (Bl. 451 d.A.) hat der Kläger beantragt, das Berufungsverfahren wieder aufzunehmen und festzustellen, dass der Vergleich durch den Rücktritt nicht erloschen sei. Im Gegensatz zum materiell-rechtlichen Vergleich fehle es dem Prozessvergleich an einem Synallagma, auf das Rechte aus § 323 BGB gestützt werden könnten. Der Rücktritt habe somit keinen Einfluss auf die Wirksamkeit des Vergleichs, deshalb sei die begehrte Feststellung zu treffen.

Mit Beschluss vom 16.5.2011 (Bl. 45 d.A.) hat der Senat den Antrag des Klägers auf Fortsetzung des Rechtsstreits zurückgewiesen. Ein neuer Termin dürfe nur bestimmt werden, wenn die Partei, die die Fortsetzung des durch den Vergleich beendeten Rechtsstreits begehrt, die Nichtigkeit oder die Beseitigung des Vergleichs behaupte. Der Antrag auf Terminsbestimmung müsse mithin mit Behauptungen verbunden werden, aus denen sich ergibt, dass die Sache noch rechtshängig sei. Hier behaupte der Kläger im Gegenteil, der Vergleich sei wirksam. Diejenige Partei, die die Wirksamkeit des Vergleichs geltend mache, könne nicht zugleich die Fortsetzung des durch den Vergleich beendeten Rechtsstreits geltend machen.

3. Im weiteren Verlauf hat der Kläger (nach der Darstellung in seinem Schriftsatz vom 2.3.2015) Prozesskostenhilfe begehrt für eine Klage, mit der festgestellt werden sollte, dass "der Vergleich" (gemeint: der Rücktritt vom Vergleich) unwirksam ist. Der Antrag auf PKH wurde vom LG mit Beschluss vom 14.11.2011 abgewiesen, die hiergegen gerichtete Beschwerde mit Senatsbeschluss vom 29.12.2011 (7 W 2232/11) zurückgewiesen.

4. Nunmehr beantragt die Klägerin als Rechtsnachfolgerin des vormaligen Klägers, das Verfahren wieder aufzunehmen und den Rechtsstreit fortzusetzen. Sie führt hierzu aus, das Verfahren sei durch den Vergleich "vom 25.3.2011" (gemeint: 31.3.2010) nicht beendet worden und daher immer noch als rechtshängig anzusehen (Antrag vom 2.3.2015, Bl. 472 d.A.).

II. Der Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens war zurückzuweisen; der Rechtsstreit ist durch den Vergleich vom 31.3.2010 beendet.

Der Prozessvergleich hat eine Doppelnatur, weil er sowohl eine Prozesshandlung ist als auch ein Rechtsgeschäft im materiell-rechtlichen Sinne (BGHZ 16, 388 juris Rz. 9; BGH v. 24.10.1984 - IVb ZR 35/83, juris Rz. 16).

1. Daraus folgt, dass dem Vergleich die prozessbeendende Wirkung dann entzogen wird, wenn er aus sachlich-rechtlichen Gründen nichtig oder anfechtbar ist. Deshalb muss bei der Entscheidung über die Streitbeendigung die materielle Wirksamkeit des Vergleichs geprüft werden (BGHZ 41, 310 juris Rz. 24; BGHZ 79, 71 juris Rz. 19). Die auf die materielle Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit des Vergleichs gestützte Unwirksamkeit kann nur in dem Prozess geltend gemacht werden, in welchem der Vergleich geschlossen wurde (BGHZ 41, 310 juris Rz. 25; BGHZ 79, 71 juris Rz. 22; BGH v. 5.2.1986 - VIII ZR 72/85 juris Rz. 12).

2. Anders verhält es sich im Fall eines Rücktritts vom Vergleich. In diesem Fall ist der Rechtsstreit nicht fortzuführen, sondern es müssen die sich aus dem Rücktritt ergebenden Einwendungen in einem neuen Rechtsstreit geltend gemacht werden (BGHZ 16, 388 juris...

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