Leitsatz (amtlich)
Ist einer betreuten Person durch sogenanntes Behindertentestament eine Erbschaft als nicht befreiter Vorerbin bei gleichzeitig angeordneter Dauertestamentsvollstreckung zugefallen, so ist der Nachlass bei der Ermittlung des Reinvermögens als Grundlage der gerichtlichen Jahresgebühr für eine Dauerbetreuung, die unmittelbar das Vermögen oder Teile des Vermögens zum Gegenstand hat, nicht werterhöhend zu berücksichtigen, weil nicht der Nachlass, sondern nur die Rechte des Erben gegenüber dem Testamentsvollstrecker Gegenstand der Betreuung sind (Anschluss an LG München I, Beschluss vom 24.9.2018, 13 T 6648/18; entgegen OLG Celle FamRZ 2017, 1083; OLG Hamm FGPrax 2015, 278; OLG Köln, Beschluss vom 14.9.2009, 2 Wx 66/09).
Normenkette
GNotKG § 3 Abs. 2; KV GNotKG Nr. 11101
Verfahrensgang
LG Memmingen (Aktenzeichen 44 T 378/18) |
AG Günzburg (Aktenzeichen XVII 0618/93) |
Tenor
Auf die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 1 werden der Beschluss des Landgerichts Memmingen vom 5. April 2018 und der Kostenansatz des Amtsgerichts Günzburg vom 19. September 2017 (Rechnungsnummer 880140029079) ersatzlos aufgehoben.
Gründe
I. Für die Beteiligte zu 3 besteht eine Betreuung mit den Aufgabenkreisen Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge, Vermögenssorge, Abschluss, Änderung und Kontrolle der Einhaltung des Heim- und Pflegevertrags sowie Regelung von Beschäftigungsverhältnissen. Der Beteiligte zu 1 ist seit 15.2.2012 zu ihrem Betreuer bestellt.
Am 5.12.2011 verstarb der Vater der Beteiligten zu 3. Gemäß dessen letztwilliger Verfügung vom 20.11.2010 wurde die Beteiligte zu 3 neben weiteren Begünstigten zur Erbin eingesetzt, wobei ihr nur die Stellung einer nicht befreiten Vorerbin eingeräumt ist. Als Ziel des Testaments bezeichnete der Erblasser ausdrücklich (unter anderem) die Unterstützung des behinderten Kindes über das Sozialamt-Niveau hinaus in der Weise, dass es ein Leben führen könne, "wie es der Mittelklasse in Deutschland entspricht". Das bedeute Wohnen in einem Einzelzimmer einer Behinderteneinrichtung, Finanzierung moderner Kleidung und von Ferienmaßnahmen, Aktivitäten zur Integration, Unterstützung der Mobilität auch durch Ausflüge mit der notwendigen Begleitung. Zur Verwirklichung dieses und der weiteren genannten Ziele wurde Dauertestamentsvollstreckung auf die Lebenszeit angeordnet.
Das Vermögen der Beteiligten zu 3 besteht im Wesentlichen aus deren Anteil am nicht auseinandergesetzten Nachlass des Verstorbenen. Das übrige Reinvermögen beläuft sich auf weniger als 25.000 EUR.
Mit Kostenansatz vom 19.9.2017 hat das Amtsgericht - Betreuungsgericht - gegen die Beteiligte zu 3 einen Betrag von 200 EUR als Jahresgebühr 2017 nach Nr. 11101 KV GNotKG geltend gemacht.
Die hiergegen vom Beteiligten zu 1 erhobene Erinnerung hat es mit Beschluss vom 26.1.2018 zurückgewiesen. Die wertabhängige Gebühr sei aus dem Wert des Vermögens ohne Rücksicht auf dessen Verwertbarkeit oder tatsächliche Verfügbarkeit zu ermitteln; mindernd zu berücksichtigen seien nur die in der Norm ausdrücklich bezeichneten Positionen, nämlich der Freibetrag von 25.000 EUR und die in § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII genannten Vermögenswerte. Mittellosigkeit im Sinne der betreuungsrechtlichen Vergütungsvorschriften stehe dem Ansatz von Gerichtskosten nicht entgegen. Gemäß Anregung der Beteiligten zu 2, der zuständigen Bezirksrevisorin als Vertreterin der Staatskasse, hat das Amtsgericht die Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
Mit Beschluss vom 5.4.2018 hat das Landgericht durch die Kammer, auf die der Einzelrichter das Verfahren übertragen hat, die eingelegte Beschwerde zurückgewiesen. Für die Festsetzung der Jahresgebühr sei es nach den Bestimmungen des Kostenverzeichnisses, nämlich der Vorbemerkung 1.1 Abs. 1 sowie Nr. 11101 Abs. 1 KV GNotKG, unerheblich, ob der Betreute über das für die Wertfestsetzung heranzuziehende Vermögen verfügen könne oder ob er aus dem Vermögen ein Einkommen beziehe, das eine Bezahlung der festgesetzten Gebühr ermögliche. Die weitere Beschwerde hat es zugelassen.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Beteiligte zu 1 mit der weiteren Beschwerde. Er meint, dass die Beteiligte zu 3 keine Gerichtskosten zu tragen habe, da gemäß Leistungsbescheid die Voraussetzungen für Sozialhilfe vorlägen. Die Beteiligte zu 3 sei mittellos. Als nicht befreite Vorerbin habe sie lediglich einen Anspruch auf Auskehr von Früchten, welche der gebundene Nachlass aber nicht abwerfe. Zudem habe sie aufgrund der Testamentsvollstreckung keinen Zugriff auf etwaige Erträge.
Die Beteiligte zu 2 verweist wegen ihres abweichenden Gesetzesverständnisses auf die der Verwaltungspraxis zugrundeliegenden Richtlinien der bayerischen Bezirksrevisoren 2014, dort Nr. 276. Diese besagen unter Bezugnahme auf Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts (RPfleger 1997, 16) und des Landgerichts Koblenz (FamRZ 2006, 138), dass zum maßgeblichen Reinvermögen in vollem Umfang ererbtes, einer Testamentsvollstreckung unterliegendes Vermögen gehöre...