Leitsatz (amtlich)
1.
Ein erbvertraglicher Vorbehalt, der es dem Erblasser ermöglichen soll, in einem bestimmten Rahmen über die Vergabe seines Nachlasses einseitig und anders als im Erbvertrag vorgesehen zu verfügen, ist grundsätzlich zulässig; der Vorbehalt darf allerdings nicht so weit gehen, dass damit der Erbvertrag seines eigentlichen Wesens entkleidet wird.
2.
Der erbvertragliche Vorbehalt einer Abänderung der Schlusserbeneinsetzung durch den überlebenden Ehegatten ist wirksam, wenn der Vorbehalt nicht nur an bestimmte Voraussetzungen geknüpft wird sondern die Verfügungsmöglichkeit des Überlebenden auch insofern beschränkt, als er nur zugunsten der gemeinschaftlichen Abkömmlinge, nicht aber zugunsten Dritter oder eines etwaigen zweiten Ehegatten verfügen darf und der Erbvertrag darüber hinaus mit der gegenseitigen Alleinerbeneinsetzung der Ehegatten eine weitere, keinem Vorbehalt unterliegende vertragsmäßige Verfügung enthält.
3.
Bleibt es dem überlebenden Ehegatten vorbehalten, anders zu verfügen, soweit das Verhalten der als Schlusserben eingesetzten Kinder ihm hierzu Veranlassung gibt, lässt die Auffassung, dass nur ein negatives Verhalten eines Kindes den überlebenden Ehegatten berechtigt, dieses Kind schlechter zu stellen (und in Folge dessen ein anderes besser), außer Acht, dass ein Kind, das (aus welchen Gründen auch immer) allein Betreuung und Pflege des überlebenden Ehegatten übernimmt, von diesem nicht durch letztwillige Verfügung in höherem Umfang als ursprünglich im Erbvertrag vorgesehen am Nachlass beteiligt werden kann; gerade das ist aber nach der Lebenserfahrung für die vertragsschließenden Ehegatten ein wichtiger Gesichtspunkt, insbesondere, wenn sie bei Abschluss des Erbvertrages bereits über 60 Jahre alt sind.
4.
Im Rahmen des § 2078 Abs. 2 BGB können nur solche Irrtümer die Anfechtung rechtfertigen, die bewegender Grund für den letzten Willen waren, so dass der Erblasser ohne sie die Verfügung mit Sicherheit nicht getroffen hätte.
5.
Eine Anfechtung wegen Motivirrtums kann nicht darauf gestützt werden, dass die Erblasserin eine letztwillige Verfügung dieses Inhalts nicht hätte treffen dürfen, wenn sie die von den Anfechtenden vorgebrachten Gesichtspunkte gebührend berücksichtigt hätte.
Verfahrensgang
LG München I (Entscheidung vom 29.11.2007; Aktenzeichen 16 T 6576/07) |
AG München (Entscheidung vom 19.03.2007; Aktenzeichen 60 VI 8994/05) |
Gründe
I.
Die Erblasserin ist am 10.7.2005 im Alter von 87 Jahren verstorben. Ihr Ehemann ist Anfang 1989 vorverstorben. Neben einer bereits als Kleinkind verstorbenen Tochter hatten die Eheleute sechs Kinder, die zwischen 1937 und 1947 geboren sind, nämlich die Töchter I. (Beteiligte zu 1), S. (Beteiligte zu 3) und B. (Beteiligte zu 4) sowie die Söhne W. (Beteiligter zu 2), H. und M. Der Sohn H. ist am 10.1.1994 verstorben; die Beteiligte zu 7 ist seine Tochter. Die Beteiligten zu 5 und 6 sind die Kinder des Sohnes M., der am 13.10.1995 verstorben ist.
Ein positiver Nachlass ist nicht vorhanden. Rückübertragungsansprüche hinsichtlich enteigneten Grundbesitzes des Ehemannes in Mecklenburg-Vorpommern hat die Erblasserin 1992 der Beteiligten zu 1 überlassen.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Erblasserin berechtigt war, in Abänderung der erbvertraglichen Schlusserbeneinsetzung aller Kinder (bzw. der Ersatzerbeneinsetzung der Enkel) die Beteiligte zu 1 zur Alleinerbin einzusetzen. Die übrigen Beteiligten haben die letztwillige Verfügung zugunsten der Beteiligten zu 1 angefochten wegen Irrtums der Erblasserin hinsichtlich des Verhaltens der Beteiligten zu 1 bzw. ihrer anderen Kinder und wegen Irrtums über den Wert der übertragenen Grundstücke in der früheren DDR.
1.
Mit ihrem Ehemann hatte die Erblasserin am 21.8.1984 einen Erbvertrag geschlossen, der auszugsweise wie folgt lautet:
"I.
1)
Gegenseitige Erbeinsetzung
Wir setzen uns hiermit gegenseitig zu alleinigen und unbeschränkten Erben (Vollerben) unseres gesamten Vermögens ein und zwar ohne Rücksicht darauf, ob und welche Pflichtteilsberechtigte wir hinterlassen werden, so dass der Überlebende von uns alleiniger Eigentümer und Berechtigter unseres Gesamtvermögens wird.
2)
Bestimmung über die Beerbung des Letztversterbenden
a)
Zu alleinigen und unbeschränkten Erben des Letztversterbenden von uns (Schlusserben) setzt der Überlebende von uns unsere gemeinschaftlichen Kinder M., I., H., W., S. und B., unter sich zu gleichen Teilen - also zu je einem Sechstel - ein.
b)
Zu Ersatzerben des Letztversterbenden von uns - für den Fall des Vorversterbens eines unserer vorgenannten Kinder - setzt der Überlebende von uns die ehelichen Abkömmlinge dieser Kinder nach Stämmen unter sich zu gleichen Teilen ein.
c)
Dem Überlebenden von uns bleibt es ausdrücklich vorbehalten, nach dem Ableben des Erstversterbenden von uns von Todeswegen noch anders zu verfügen, soweit besondere Verhältnisse (Ausbildung unserer Kinder oder Kindeskinder, Vermögenszuwendungen oder ähnliche Umstände) oder deren Verhalten ihm nach seinem Ermesse...