Entscheidungsstichwort (Thema)

Volljährigenadoption: Entstehen eines weiteren Eltern-Kind-Verhältnisses auch bei intaktem Verhältnis der Anzunehmenden zu ihren leiblichen Eltern

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Annahme der Entstehung eines Eltern-Kind-Verhältnisses wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass zwischen der Anzunehmenden und ihren beiden leiblichen Eltern ein intaktes Verhältnis besteht.

2. Ein intaktes Verhältnis zu den leiblichen Eltern ist als wichtiges Kriterium zu Beurteilung einer weiteren Eltern-Kind-Beziehung zwischen Annehmendem und Anzunehmendem in eine Gesamtabwägung einzubeziehen, ebenso wie ein möglicher Loyalitätskonflikt zwischen Herkunftsfamilie und Wahlfamilie.

 

Normenkette

BGB § 1767 Abs. 1 Hs. 2, § 1772

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Annehmenden wird der Beschluss des Amtsgerichts Rosenheim vom 18.7.2019 wie folgt geändert:

Die am 19.2.1991 geborene A.T. K. wird von H.B. K., geboren am 19.4.1943, als Kind angenommen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beschwerdeführerin.

 

Gründe

I. Annehmende und Anzunehmende, beide ledig und kinderlos, beantragen den Ausspruch einer Volljährigenadoption. Die Beteiligten sind Tante und Nichte, der Vater der Anzunehmenden ist der Bruder der Annehmenden. Zu ihren leiblichen Eltern hat die Anzunehmende ein intaktes Verhältnis. Bereits seit Kindertagen der Anzunehmenden besteht ein enger Kontakt zwischen den Beteiligten. Seit ca. 5 Jahren wohnt die Anzunehmende in unmittelbarer Nachbarschaft der Annehmenden mietfrei in einer der Annehmenden gehörenden Wohnung. Die Annehmende ist Rentnerin, die Anzunehmende von Beruf Lehrerin.

Mit notariell beurkundetem Antrag vom 11.4.2019 haben die Beteiligten die Annahme der Anzunehmenden als Kind der Annehmenden nach den Vorschriften über die Annahme eines Volljährigen beantragt. Zur Begründung haben sie angegeben, dass zwischen ihnen ein Eltern-Kind-Verhältnis bestehe.

Mit Beschluss vom 18.7.2019 hat das Amtsgericht den Adoptionsantrag zurückgewiesen. Es begründet seine Entscheidung mit Zweifeln an der sittlichen Rechtfertigung der Adoption und führt aus, das bestehende enge Verhältnis zwischen den Beteiligten unterscheide sich nicht von einem guten Verwandtschaftsverhältnis zwischen Tante und Nichte, das Ziel der Adoption könne auch durch Vollmacht/Patientenverfügung und Testament erreicht werden und die intakte Eltern-Kind-Beziehung der Anzunehmenden zu ihren leiblichen Eltern stehe der Adoption entgegen.

Gegen den Beschluss, ihr zugestellt am 20.7.2019 hat die Annehmende am 20. 8. 2019 Beschwerde eingelegt mit dem Antrag, der Adoption stattzugeben. Sie führt aus, das Verhältnis zwischen den Beteiligten gehe über ein normales Verwandtschaftsverhältnis hinaus. Es bestehe eine Eltern-Kind-Beziehung.

Annehmende, Anzunehmende, die Schwester der Anzunehmenden und ihre Eltern wurden persönlich angehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Vermerk des Amtsgerichts, den angefochtenen Beschluss, die gewechselten Schriftsätze und den Vermerk über die Senatssitzung vom 17.9.2019 Bezug genommen.

II. Die gemäß §§ 58 ff FamFG zulässige Beschwerde ist begründet und führt zur Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Dem Antrag auf Volljährigenadoption war stattzugeben, da diese aufgrund des bestehenden Eltern-Kind-Verhältnisses zwischen den Beteiligten sittlich gerechtfertigt ist.

1. Nach § 1767 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BGB kann ein Volljähriger dann als Kind angenommen werden, wenn die Annahme sittlich gerechtfertigt ist. Das Erfordernis der sittlichen Rechtfertigung beruht darauf, dass die Herstellung familienrechtlicher Beziehungen nicht der freien Disposition der Beteiligten überlassen bleiben und Missbrauch vorgebeugt werden soll (vgl. Palandt/Götz, BGB, 77. Aufl., § 1767 Rn. 2). § 1767 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB bestimmt, dass die sittliche Rechtfertigung der Annahme eines Volljährigen als Kind insbesondere dann anzunehmen ist, wenn zwischen dem Annehmenden und dem Anzunehmenden ein Eltern-Kind-Verhältnis bereits entstanden ist. Anderenfalls muss bei objektiver Betrachtung der bestehenden Bindungen und ihrer Entwicklungsmöglichkeiten das Entstehen einer Eltern-Kind-Beziehung für die Zukunft zu erwarten sein, § 1767 Abs. 2 Satz 1, 1741 Abs. 1 Satz 1 BGB (OLG Nürnberg FamRZ 2016, 315 m. w. Nw.).

Besteht zwischen Annehmendem und Anzunehmendem bereits ein Eltern-Kind-Verhältnis, so ist unwiderleglich vom Vorliegen sittlicher Rechtfertigung auszugehen und durch Ausspruch der Annahme das bislang nur faktische Eltern-Kind-Verhältnis rechtlich zu flankieren. Dabei ist es unerheblich, aus welchen Motiven die Beteiligten diese rechtliche Flankierung anstreben; in diesem Fall des Bestehens eines Eltern-Kind-Verhältnisses dürfen auch rein wirtschaftliche Gründe eine Rolle spielen (BeckOGK/Löhnig, 15.12.2018, § 1767 BGB Rn. 10; MüKoBGB/Maurer, 7. Aufl. 2017, § 1767 Rn. 25; Erman/Saar, BGB, 15. Aufl. 2017, § 1767 Rn. 7; Staudinger/Frank, BGB, Neubearb. 2007, § 1767 Rn. 20; OLG Schleswig, NJOZ 2010, 487; OLG Stuttgart NJW 2019, 1385, beck-onlin...

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