Entscheidungsstichwort (Thema)
Umfang der Verweisung des Deliktsstatuts - Ermittlung ausländischen Rechts
Leitsatz (amtlich)
1. Die materiellrechtliche Aktivlegitimation richtet sich grundsätzlich nach dem durch die Rom II-VO bezeichneten Recht. (Rn. 18)
2. Nach § 293 S. 1 ZPO bedürfen das in einem anderen Staat geltende Recht bzw. die Gewohnheitsrechte und Statuten des Beweises nur insofern, als sie dem Gericht unbekannt sind. Das Gericht ist hierbei auch nicht gehalten, zwingend Auskünfte von Behörden oder Rechtsgutachten zu erholen, sondern kann auch sämtliche andere zugängliche Erkenntnisquellen ausschöpfen, wobei der Umfang, die Intensität und die Grenzen der Ermittlungspflicht insbesondere von der Komplexität und dem Fremdheitsgrad des anzuwendenden fremden Rechts, dem Vortrag und sonstiger Beiträge der Parteien abhängt. (Rn. 32)
3. Ein Rechtsstreit zwingt nicht zur Terminierung nach § 522 Abs. 2 Nr. 4 ZPO, wenn der Berufungsstreitwert unter dem Betrag liegt, für welchen eine Anfechtbarkeit nach § 522 Abs. 3 ZPO iVm § 544 Abs. 2 ZPO gegeben ist. (Rn. 2 - 4)
Normenkette
ROM II-VO Art. 4; ZPO §§ 293, 522 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Traunstein (Urteil vom 28.05.2021; Aktenzeichen 9 O 2699/20) |
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten vom 16.06.2021 gegen das Endurteil des LG Traunstein vom 28.05.2021 durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 II 1 ZPO wegen offensichtlich fehlender Erfolgsaussicht zurückzuweisen.
Weder eine grundsätzliche Bedeutung der Sache noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Senats aufgrund mündlicher Verhandlung (§ 522 II 1 Nr. 1-3 ZPO); eine solche ist auch nicht aus sonstigen Gründen geboten (§ 522 II 1 Nr. 4 ZPO).
2. Es wird hiermit Gelegenheit zur Stellungnahme zu der beabsichtigten Entscheidung bis einen Monat nach Zustellung dieses Beschlusses gegeben (§ 522 II 2 ZPO).
Der Hinweis nach § 522 II 2 ZPO dient nicht der Verlängerung der gesetzlichen Berufungsbegründungsfrist (OLG Koblenz NJOZ 2007, 698); neuer Sachvortrag ist nur in den Grenzen der §§ 530, 531 II 1 ZPO zulässig (BGHZ 163, 124), wobei die Voraussetzungen des § 531 II 1 ZPO glaubhaft zu machen sind (§ 531 II 2 ZPO).
3. Nach derzeitiger Sachlage empfiehlt es sich, zur Vermeidung unnötiger weiterer Kosten die Rücknahme der Berufung binnen dieser Frist zu prüfen (im Falle einer Rücknahme ermäßigt sich gem. Nr. 1222 Satz 2 KV-GKG die Gebühr für das Verfahren im Allgemeinen von 4,0 auf 2,0).
4. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 19.953,88 EUR festzusetzen.
Gründe
I. Eine mündliche Verhandlung ist nicht gem. § 522 II 1 Nr. 4 ZPO geboten.
Eine "existentielle Bedeutung" des Rechtsstreits für den Berufungsführer aufgrund der Natur des Rechtsstreits ist vorliegend nicht gegeben: Der Rechtsstreit betrifft Schadensersatzansprüche wegen Sach- und Vermögensschäden im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall.
Eine "existentielle Bedeutung" des Rechtsstreits ist auch nicht wegen der Höhe des in Streit befindlichen Betrages gegeben. Die absolute Höhe des Betrages ist grundsätzlich nicht entscheidend (OLG Koblenz, Beschl. v. 16.2.2012 - 10 U 817/11 [juris Rz. 28]; r+s 2013, 450 [451 für eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente von knapp 400 EUR]; OLG Hamm, Beschl. v. 18.9.2013 - 3 U 106/13 [juris Rz. 1] in einer Arzthaftungssache; OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 25.11.2013 - 18 U 1/13 [juris Rz. 22]). Eine Gefährdung der wirtschaftliche Existenz des Berufungsführers (vgl. zu dieser Fallgestaltung OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 30.8.2012 - 21 U 34/11 [juris Rz. 4; Nichtzulassungsbeschwerde durch Beschl. des BGH v. 20.2.2014 - VII ZR 265/12 ≪juris≫ zurückgewiesen]; Stackmann JuS 2011, 1087 [1088 unter II 4]) ist nicht dargetan oder sonst ersichtlich.
Sie scheidet im Übrigen deshalb aus, da der Berufungsstreitwert unter dem Betrag liegt, für welchen eine Anfechtbarkeit nach § 522 III ZPO i. Verb. m. § 544 II ZPO gegeben ist, woraus zu folgern ist, dass der Rechtsstreit keine die Existenz des Berufungsführers berührende Bedeutung hat.
II. Die Berufung ist auch offensichtlich unbegründet (§ 522 II 1 Nr. 1 ZPO).
1. Eine offensichtliche Unbegründetheit ist gegeben, wenn für jeden Sachkundigen ohne längere Nachprüfung erkennbar ist, dass die vorgebrachten Berufungsgründe (solche sind nur eine Rechtsverletzung [§ 513 I Var. 1 i. Verb. m. § 546 ZPO], eine unrichtige Tatsachenfeststellung [§ 513 I Var. 2 i. Verb. m. § 529 I Nr. 1 ZPO] oder das Vorbringen neuer berücksichtigungsfähiger Angriffs- und Verteidigungsmittel [§ 513 I Var. 2 i. Verb. m. §§ 529 I Nr. 2, 531 II ZPO]) das angefochtene Urteil nicht zu Fall bringen können (vgl. BVerfG NJW 2002, 814 [815]). Offensichtlichkeit setzt aber nicht voraus, dass die Aussichtslosigkeit gewissermaßen auf der Hand liegt, also nur dann bejaht werden dürfte, wenn die Unbegründetheit der Berufung anhand von paratem Wissen festgestellt werden kann (BVerfG EuGRZ 1984, 442 f.); sie kann vielmehr auch da...