Leitsatz (amtlich)
Bewilligt das Gericht der ersten Instanz durch Beschluss eine Räumungsfrist, obwohl diese Bewilligung im Urteil erfolgen hätte müssen, so ist auf die sofortige Beschwerde dieser Beschluss ohne Sachprüfung aufzuheben.
Normenkette
ZPO § 721
Verfahrensgang
LG München I (Beschluss vom 23.12.2009; Aktenzeichen 30 O 14986/09) |
Tenor
I. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des LG München I vom 23.12.2009 aufgehoben.
II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Beklagten zu 2) und 3) je zur Hälfte.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 6.750 EUR festgesetzt.
IV. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Das LG verurteilte die Beklagten antragsgemäß durch Versäumnisurteil vom 21.10.2009 zur Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnräume. Die Beklagten legten hiergegen rechtzeitig Einspruch ein, in dem sie den Räumungsanspruch anerkannten, aber beantragten, den Beklagten zu 2) und 3) Räumungsschutz gem. § 721 ZPO zu gewähren. Das LG bestimmte am 24.11.2009 Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 13.1.2010. Mit Beschluss vom 23.12.2009 gewährte es ferner den Beklagten zu 2) und 3) Räumungsfrist bis 31.5.2010.
Gegen diesen am 23.12.2009 zugestellten Beschluss legte die Klägerin sofortige Beschwerde ein.
II. Die zulässige Beschwerde ist begründet und führt wegen eines Verfahrensfehlers ohne Sachprüfung zur Aufhebung des Beschlusses des LG.
1. Das LG hat zu Unrecht über den Antrag nach § 721 ZPO durch Be-schluss entschieden. Die Voraussetzungen des § 721 Abs. 2 und 3 ZPO lagen nicht vor. Es hätte vielmehr im Rahmen der Entscheidung über die Hauptsache, also im Rahmen des Anerkenntnisurteils, über den Antrag entscheiden müssen. Vor Erlass des Urteils kann eine Räumungsfrist nicht nach § 721 ZPO bewilligt werden; ist ein Versäumnisurteil vorhanden, besteht nur die Möglichkeit der Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 719 Abs. 1, § 707 ZPO. Wird in dem das Verfahren abschließenden Urteil nicht über den Antrag nach § 721 ZPO entschieden, so kann die Entscheidung nicht durch Beschluss, sondern bei Vorliegen deren Voraussetzungen nur durch ein Ergänzungsurteil entschieden werden (§ 721 Abs. 1 Satz 3 1. Hs, § 321 ZPO); daher tritt auch keine Heilung durch den Nichtabhilfebeschluss ein. Ein Ergänzungsurteil dürfte im vorliegenden Fall allerdings schon daran scheitern, dass die Beklagten in der mündlichen Verhandlung den Antrag nicht mehr gestellt haben. Zudem ist die Frist des § 321 Abs. 2 abgelaufen.
Der in dem Einspruchsschriftsatz enthaltene Antrag nach § 721 ZPO war auch nicht als sofortige Beschwerde gegen die Nichtbewilligung der Räumungsfrist auszulegen (vgl. LG Köln NJW-RR 1987, 143), da ausdrücklich von den anwaltschaftlich vertretenen Beklagten Einspruch eingelegt wurde, zumal die Einspruchseinlegung auch geboten war, da der Anwalt den sicheren Rechtsbehelf zur Erreichung der Räumungsfrist ergreifen muss und er sich nicht darauf verlassen kann, dass sich das zuständige Gericht der Rechtsauffassung des LG Köln anschließen werde. Darüber hinaus hatte das LG im Rahmen der Endentscheidung noch die Gelegenheit ggf. von Amts wegen verfahrensrechtlich korrekt die Entscheidung über die Räumungsfrist zu treffen.
Eine sofortige Beschwerde gegen die Nichtgewährung einer Räumungsfrist von Amts wegen in dem diesen am 1.2.2010 zugestellten Anerkenntnisurteil haben die Beklagten nicht erhoben. Im Schriftsatz vom 31.1.2010 liegt jedenfalls keine sofortige Beschwerde. Ob gegen die Versäumung der am 15.2.2010 abgelaufenen Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, erscheint fraglich (§ 233 ZPO); zwar ist Ausgangspunkt des Fehlers eine gerichtliche Fehlentscheidung, doch war den anwaltschaftlich vertretenen Beklagten seit 7.1.2010 die Beschwerdeeinlegung bekannt. Die Beklagten hätten durch ihren Anwalt, wenn dieser die Frage des § 721 ZPO sorgfältig geprüft hätte, nicht nur in der mündlichen Verhandlung einen entsprechenden Antrag stellen können, sondern auch noch rechtzeitig sofortige Beschwerde gegen die Nichtgewährung einer Räumungsfrist von Amts wegen im Anerkenntnisurteil einlegen können. Das Verschulden des Anwalts steht dem Verschulden der Partei gleich (§ 85 Abs. 2 ZPO).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Streitwertfestsetzung auf § 3 ZPO, 47 GKG.
3. Für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde fehlen die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 574 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 ZPO).
Fundstellen
Haufe-Index 2302339 |
NJW 2010, 6 |
NJW-RR 2010, 945 |
NZM 2010, 720 |
ZMR 2010, 3 |
ZMR 2010, 524 |
FoVo 2010, 195 |
PA 2010, 167 |