Entscheidungsstichwort (Thema)
Fehlende Feststellungen zum Mindestschuldumfang in Betäubungsmittelverfahren [Amphetamin]
Leitsatz (redaktionell)
1. Es ist rechtsfehlerhaft, wenn in den Urteilsgründen eine Menge von “etwa 2 bis 3 g„ oder jeweils eine Menge von “ca. 15 g„ Amphetamin zugrunde gelegt wird, ohne dass erkennbar wird, ob es sich insoweit um Mindestmengen handelt.
2. a) Neben der Menge des Rauschgifts spielt insbesondere dessen Qualität eine wesentliche Rolle für die Strafzumessung. Insofern ist es für den Schuldumfang erheblich, welche betäubungsmittelrelevanten Wirkstoffmengen sich in dem Rauschgift befunden haben.
b) Der Tatrichter hat deshalb entweder konkrete Feststellungen zum Wirkstoffgehalt zu treffen oder von der für den Angeklagten günstigsten Qualität auszugehen, die nach den Umständen in Betracht kommt. Auch wenn die Betäubungsmittel nicht sichergestellt wurden und daher eine Wirkstoffuntersuchung nicht möglich ist, darf der Tatrichter die Frage nach dem Wirkstoffgehalt nicht offen lassen. Er muss vielmehr unter Berücksichtigung anderer hinreichend feststellbarer Tatumstände, wie Herkunft, Preis und Beurteilung der Betäubungsmittel durch Tatbeteiligte, und letztlich des Grundsatzes “in dubio pro reo„ feststellen, von welchem Wirkstoffgehalt und damit von welcher Qualität des Betäubungsmittels jeweils auszugehen ist.
Verfahrensgang
LG Kempten (Urteil vom 14.01.2005) |
AG Kempten (Urteil vom 29.09.2004) |
Tenor
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der Kleinen Jugendkammer des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 14. Januar 2005 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Jugendkammer des Landgerichts Kempten (Allgäu) zurückverwiesen.
Gründe
I.
1. Der Jugendrichter des Amtsgerichts Kaufbeuren verurteilte den Angeklagten am 29.9.2004 wegen vorsätzlichen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in drei Fällen sowie der Beihilfe hierzu in einem weiteren Fall zur Gesamtgeldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 10 EUR. Die hiergegen vom Angeklagten eingelegte Berufung hat die Kleine Jugendkammer des Landgerichts Kempten (Allgäu) durch Urteil vom 14.1.2005 verworfen. Der Entscheidung liegen u.a. folgende Feststellungen zugrunde:
Im Zeitraum zwischen Februar und Oktober 2003 kaufte und übernahm der Angeklagte von dem gesondert verfolgten I in nachfolgenden Fällen Amphetamin:
1. In einem Fall erwarb der Angeklagte 1 g Amphetamin in einer Discothek im Raume M oder in K zum Preis von 20 EUR.
2. In einem weiteren Fall erwarb der Angeklagte wiederum in einer Discothek im oben bezeichneten Gebiet etwa 2 bis 3 g Amphetamin zum Grammpreis von 20 EUR.
3. In einem Fall erwarb er ca. 15 g Amphetamin zum Preis von 170 bis 180 EUR. Der Erwerb fand statt vor dem Restaurant “M„, ###-Straße 58, M, dort an der Laderampe. Das Rauschgift war nicht für den Angeklagten selbst bestimmt, sondern für den gesondert verfolgten H. Nach Erwerb des Rauschgifts durch den Angeklagten gab er es in der Folgezeit an H weiter und bekam von diesem dafür das Geld erstattet, welches er zunächst ausgelegt hatte.
4. In einem weiteren Fall fuhr der Angeklagte mit dem gesondert verfolgten I in dessen Pkw vom Restaurant “M„, ###-Straße 58, M, in die Innenstadt nahe der Straße “###„ beim Sex-Shop Beate Uhse, wo der gesondert verfolgte H wohnhaft war. Der Angeklagte zeigte I, wo H seine Wohnung hatte. In dieser verkaufte I sodann an H ca. 15 g Amphetamin zu einem Grammpreis von ca. 18 EUR. Dem anderweitig verfolgten I war der Wohnort bis zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt, so dass er nur durch die Vermittlung durch den Angeklagten das Geschäft abwickeln konnte.
2. Mit der Revision rügt der Verteidiger die Verletzung formellen und materiellen Rechts. In verfahrensrechtlicher Hinsicht macht er einen Verstoß gegen § 261 StPO geltend. Die ermittlungsrichterliche und die polizeiliche Einvernahme des Zeugen I, auf die sich das Urteil stütze, seien weder verlesen noch durch Vorhalt oder auf sonstige Weise in die Hauptverhandlung eingeführt worden. Mit der Sachrüge wird beanstandet, dass das Landgericht keine Feststellungen zum Wirkstoffgehalt der Betäubungsmittel getroffen hat. Auch die Beweiswürdigung sei fehlerhaft. Der Bewertung der Glaubwürdigkeit des einzigen Belastungszeugen I komme besondere Bedeutung zu. Insoweit fehle es an Feststellungen zur Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Zeugenaussage. Zudem werde nicht mitgeteilt, was der Angeklagte und der Zeuge H im Einzelnen erklärt haben.
II.
Die gemäß §§ 333, 341 Abs. 1, §§ 344, 345 StPO zulässige Revision ist auch begründet.
1. Allerdings hat die erhobene Verfahrensrüge keinen Erfolg.
Zwar wurden die früheren Vernehmungen des Zeugen I ausweislich des Protokolls über die Hauptverhandlung vom 14.1.2005 nicht verlesen. Der Niederschrift ist jedoch zu entnehmen, dass der Zeuge auch auf Vorhalt Erklärungen abgegeben hat. Wird ein Schriftstück zum Zweck des Vorhalts ganz oder teilweise verlesen, so braucht dies im Protokol...