Entscheidungsstichwort (Thema)

Verkehrssicherungspflicht für Gemeindestraßen: Anforderungen an die winterliche Streu- und Räumpflicht in Bezug auf Radfahrer

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für die Verpflichtung zum Räumen und Streuen sind Art und Wichtigkeit des Verkehrswegs ebenso zu berücksichtigen wie seine Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs. Innerorts müssen nur die verkehrswichtigen und gefährlichen Straßen bei allgemeiner Glätte abgestreut werden (Anschluss BGH, 5.7.1990 - III ZR 217/89, BGHZ 112, 74).(Rz. 6)

2. Die Anforderungen an die Räum- und Streupflicht auf Fahrbahnen orientiert sich an der Nutzung durch Kraftfahrzeuge und nicht an der besonderen Sturzgefahr von Radfahrern. Straßenstellen sind demnach als gefährlich einzustufen, an denen Kraftfahrer erfahrungsgemäß bremsen, ausweichen oder sonst ihr Fahrtrichtung oder Geschwindigkeit ändern, weil gerade diese Umstände bei Schnee- und Eisglätte zum Schleudern oder Rutschen und damit zu Unfällen führen können.(Rz. 8)

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 1, § 839; GG Art. 34

 

Verfahrensgang

LG Kempten (Urteil vom 27.08.2012; Aktenzeichen 31 O 654/12)

 

Tenor

I. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LG Kempten (Allgäu) vom 27.8.2012 - 31 O 654/12, durch einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.

II. Es ist beabsichtigt, den Streitwert des Berufungsverfahrens auf 7.993,36 EUR festzusetzen.

III. Die Parteien erhalten Gelegenheit, zu diesem Hinweis binnen 3 Wochen Stellung zu nehmen.

 

Gründe

I. Die Voraussetzungen für die Zurückweisung nach § 522 Abs. 2 ZPO sind gegeben, weil das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordern und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.

Das LG hat zu Recht eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht verneint. Die Klägerin vermag in der Berufungsbegründung weder in rechtlicher noch in sachlicher Hinsicht entscheidungserhebliche Fehler des LG aufzuzeigen.

Die Rechtsprechung des BGH und der OLG zur den Anforderungen an die Räum- und Streupflicht der Gemeinden ist seit Jahren gefestigt und durch eine Vielzahl von Entscheidungen grundsätzlich geklärt. Es existiert keine uneingeschränkte Räum- und Streupflicht bei winterlicher Glätte, ebenso wenig ist es möglich, mit zumutbarem Aufwand jede glättebedingte Unfallgefahr zu vermeiden. Vielmehr muss sich der Straßenverkehr im Winter den gegebenen Straßenverhältnissen anpassen. Der Sicherungspflichtige hat nur im Rahmen und nach Maßgabe der nachfolgenden Grundsätze durch Schneeräumen und Bestreuen mit abstumpfenden Mitteln den Gefahren, die infolge winterlicher Glätte für den Verkehrsteilnehmer bei zweckgerechter Wegebenutzung und trotz Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bestehen, entgegen zu wirken (vgl. BGHZ 112, 74, 75f mit umfangreichen Nachweisen).

1. Grundvoraussetzung für die Räum- und Streupflicht auf Straßen oder Wegen ist zunächst das Vorliegen einer allgemeinen Glätte und nicht nur das Vorhandensein einzelner Glättestellen (vgl. BGH v. 12.6.2012 - VI ZR 138/11; BGH v. 21.1.1982 - III ZR 80/81, VersR 1982, 299, 300; v. 26.2.2009 - III ZR 225/08, NJW 2009, 3302 Rz. 4 m.w.N.; OLG Jena NZV 2009, 599, 600 m.w.N.; Carl, VersR 2012, 414, 415; Geigel/Wellner, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., Kap. 14 Rz. 147; Staudinger/Hager, BGB [2009], § 823 Rz. E 128). Die Beweislast für eine allgemeine Glätte zum Unfallzeitpunkt trägt der Anspruchsteller. Allein der Nachweis der Existenz einer Glättestelle am Unfallort genügt hierfür nicht.

Schon in diesem Punkt bestehen Zweifel an dem klägerischen Vorwurf einer Verletzung der Räum- und Streupflicht. Die Zeugin S. hat ausgesagt, es sei nicht durchgehend glatt gewesen, sondern es habe nur einzelne glatte Stellen gegeben. Der Ehemann der Klägerin hat nur an der Unfallstelle Glätte bestätigt, ob er ansonsten allgemeine Glätte festgestellt hat, ist nicht bekannt, allerdings hat er angegeben, die Gehsteige seien abgestreut gewesen. Der Zeuge B. hat ausgesagt, es sei am Morgen des 26.11.2011 nicht auf den kontrollierten Straßen und Wegen glatt gewesen, weswegen er keine Räum- und Streumaßnahmen vorgenommen habe.

2. Selbst wenn jedoch am fraglichen Morgen eine - vom Zeugen B. nicht zutreffend eingeschätzte - allgemeine Glätte geherrscht haben sollte, die Streumaßnahmen erfordert hätten, lässt die Beurteilung des LG, wonach die Beklagte nicht verpflichtet war, den Unfallort mit Splitt/Salz abzustreuen, Rechtsfehler nicht erkennen. Für die Verpflichtung zum Räumen und Streuen sind Art und Wichtigkeit des Verkehrswegs ebenso zu berücksichtigen wie seine Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs. Innerorts müssen nach der gefestigten Rechtsprechung nur die verkehrswichtigen und gefährlichen Straßen bei Glätte abgestreut werden (BGHZ 31, 73, 75; 40, 379, 380; 112, 74,...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge