Entscheidungsstichwort (Thema)

Scheidung türkischer Eheleute: Doppelte Rechtshängigkeit bei einem Scheidungsantrag des Ehemannes nach dem Trennungsantrag der Ehefrau; anwendbares Recht bei deutschem Aufenthalt der Eheleute; Antragserfordernis für den Versorgungsausgleich

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Frage, ob in einer Scheidungssache in Deutschland lebender türkischer Eheleute intern eine doppelte Rechtshängigkeit besteht, ist allein nach deutschen Verfahrensrecht und der Streitgegenstandslehre zu beantworten. Hat der türkische Ehemann die Ehescheidung von seiner türkischen Ehefrau beantragt, nachdem diese zuvor bereits einen Antrag auf gerichtliche Trennung von Tisch und Bett auf der Grundlage des türkischen Rechts gestellt hatte, so besteht keine doppelte Rechtshängigkeit. Denn in einem solchen Fall liegen zwei verschiedene Streitgegenstände vor.(Rz. 15)

2. Auf die Ehescheidung von in Deutschland lebenden türkischen Staatsangehörigen findet mangels einer abweichenden Rechtswahl deutsches Recht Anwendung.(Rz. 20)

3. Gemäß Art. 17 Abs. 3 Satz 1 EGBGB unterliegt der Versorgungsausgleich zwar dem deutschen Recht, wenn dieses Scheidungsstatut ist, aber nur dann, wenn das Heimatrecht eines Ehegatten den Versorgungsausgleich kennt. Sind beide Ehegatten türkische Staatsangehörige, und ist in diesem Recht der Versorgungsausgleich unbekannt, kann der Versorgungsausgleich nur auf Antrag gem. Art. 17 Abs. 3 Satz 2 EGBGB durchgeführt werden, wenn dieser gestellt wird und von demjenigen, der den Antrag stellt, die Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 3 Satz 2 EGBGB dargetan werden.(Rz. 22)

 

Normenkette

BGBEG Art. 17 Abs. 3 Sätze 1-2; EGV 2201/2003 Art. 1 Abs. 1 Buchst. a, Art. 3 Abs. 1 Buchst. a S. 1; EUV 1259/2010 Art. 8 Buchst. a

 

Verfahrensgang

AG München (Beschluss vom 23.10.2013; Aktenzeichen 534 F 6163/13)

 

Tenor

1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des AG München vom 23.10.2013 wird im Haupt- und Hilfsantrag zurückgewiesen.

2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

4. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf EUR 4.398,55 festgesetzt.

5. Der Verfahrenskostenhilfeantrag der Antragsgegnerin wird abgewiesen.

 

Gründe

I. Die Beteiligten sind türkische Eheleute. Der Antragsteller begehrt die Ehescheidung und beruft sich dabei auf die Anwendbarkeit deutschen Rechts. Beide Ehegatten lebten bei Verfahrenseinleitung in Deutschland. Ein Antrag auf Durchführung des Versorgungsausgleichs wurde in 1. Instanz nicht gestellt.

Mit Beschluss vom 23.10.2013, dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin am 28.10.2013 zugestellt, hat das AG München die Ehe der Beteiligten unter Anwendung deutschen Rechts geschieden.

Gegen diesen Beschluss hat die Antragsgegnerin am 20.11.2013 Beschwerde eingelegt, mit der die erstinstanzliche Antragsabweisungsantrag weiterverfolgt wird.

Sie meint, der Scheidungsantrag sei schon deshalb unzulässig, weil doppelte Rechtshängigkeit bestehe. Sie habe im Verfahren 534 F 4112/13 AG München die gerichtliche Trennung der Eheleute auf der Grundlage des türkischen Rechts beantragt. Eine Scheidung könne deshalb nach maximal drei Jahren ausgesprochen werden. Die Voraussetzungen für den Ausspruch einer gerichtlichen Trennung lägen vor, weil hierauf türkisches Recht anzuwenden sei, nachdem das eigentlich anwendbare deutsche Recht eine Trennung nicht kenne. Zumindest sei der Versorgungsausgleich durchzuführen.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Beschluss des AG München vom 23.10.2013 aufzuheben und den Scheidungsantrag vom 5.6.2013 abzuweisen, hilfsweise: Der Versorgungsausgleich wird durchgeführt. hilfsweise: Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Der Antragsteller hatte Gelegenheit zur Stellungnahme. Einen eigenen Antrag hat der Antragsgegner nicht gestellt.

Der Vorsitzende des zuständigen 12. Familiensenats hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass über die Beschwerde ohne mündliche Verhandlung gem. §§ 117 III S. 1, 68 III S. 2 FamFG entschieden wird, weil die Beschwerde keine Aussicht auf Erfolg habe, denn es bestehe keine doppelte Rechtshängigkeit; zudem sei Trennungsstatut das deutsche Recht, das eine gerichtliche Trennung nicht kenne; hilfsweise könne auch nicht auf türkisches Recht zurückgegriffen werden. Der Versorgungsausgleich könne mangels rechtzeitigen Antrags in der 1. Instanz in der Beschwerdeinstanz nicht durchgeführt werden.

Die Antragsgegnerin hat daraufhin beantragt, das Scheidungsverfahren wegen Vorgreiflichkeit des Trennungsverfahrens nach § 148 ZPO auszusetzen.

II. Die gem. §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist unbegründet.

1. Der Scheidungsantrag des Antragstellers ist zulässig.

a. Zutreffend ist das AG von der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte ausgegangen, die sich vorliegend aus Art. 1 I lit. a), Art. 3 I lit. a 1. Spiegelstrich EuEheVO ergibt.

b. Es besteht keine doppelte Rechtshängigkeit. Die Begrifflichkeiten der EuEheVO können insoweit nicht auf das deutsch...

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