Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Schadensersatz wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen mangels Erwerbskausalität

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Verhalten der für einen Kraftfahrzeughersteller handelnden Personen ist nicht bereits deshalb als sittenwidrig zu qualifizieren, weil sie einen Fahrzeugtyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) ausgestattet und in den Verkehr gebracht haben. (Rn. 15)

2. Hat der Käufer vor dem Erwerb eines Dieselfahrzeuges mit einem 3,0 Liter-Dieselmotor V6 TDI keine Recherchen zur Feststellung der Betroffenheit dieses Fahrzeugs von einem KBA-Rückruf unternommen, obwohl der sog. Dieselskandal zum Zeitpunkt des Kaufs bereits über zwei Jahre öffentlich bekannt war und sich aus der Medienberichterstattung auch die Betroffenheit von 3 Liter-Motoren des betreffenden Herstellers ergab, lässt dieses Verhalten bei verständiger Würdigung nur den Schluss darauf zu, dass ihm die Frage der Betroffenheit des Fahrzeugs schlicht gleichgültig war und für ihn kein maßgebliches Kaufkriterium darstellte. (Rn. 23)

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 2, § 826; EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Ingolstadt (Urteil vom 14.03.2022; Aktenzeichen 43 O 1251/20 Die)

 

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 14.03.2022, Az. 43 O 1251/20 Die, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

2. Es ist beabsichtigt, den Streitwert des Berufungsverfahrens auf 5.925,00 EUR festzusetzen.

3. Die Parteien erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

 

Gründe

1. Die Berufung des Klägers erscheint unbegründet. Die Prüfung der Berufung durch den Senat hat weder ergeben, dass das angefochtene Urteil auf einer Rechtsverletzung gemäß § 546 ZPO beruht, noch dass die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen würden, § 513 Abs. 1 ZPO. Das klageabweisende Ersturteil hält den Angriffen der Berufung vollumfänglich stand. Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch auf Erstattung des Kaufpreises zzgl. Darlehenszinsen abzgl. Nutzungsentschädigung und ersparter Schlussrate oder auf Ersatz eines Differenzschadens in Höhe von 15% des Kaufpreises steht dem Kläger auch nach Auffassung des Senats unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Da die Beklagte nicht Partei des Kaufvertrags vom 13.03.2018 ist, kommen allein deliktische Ansprüche in Betracht.

1. Dem Kläger steht kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 263 Abs. 1 StGB, § 31 BGB zu.

Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 263 Abs. 1 StGB setzt haftungsbegründend voraus, dass sämtliche objektiven und subjektiven Merkmale des Betrugstatbestands im Sinne von § 263 Abs. 1 StGB (als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB) erfüllt sind. Es kann dahinstehen, ob und ggf. durch welches Verhalten im Zusammenhang mit der behaupteten Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in strafrechtlich relevanter Weise getäuscht worden ist und ob die Täuschung fortgewirkt und beim Kläger einen strafrechtlich relevanten Irrtum erregt hat. Denn jedenfalls fehlt es an der Bereicherungsabsicht und der in diesem Zusammenhang erforderlichen Stoffgleichheit des erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteils mit einem etwaigen Vermögensschaden (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020 - VI ZR 5/20, Rn. 18).

2. Die Beklagte haftet dem Kläger auch nicht aus sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB auf Schadensersatz, da der Beklagten im Verhältnis zum Kläger kein sittenwidriges Verhalten vorzuwerfen ist.

a) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu ...

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