Entscheidungsstichwort (Thema)

Befangenheit. Führungsaufsicht. Ablehnungsgesuch. Prozesswirtschaftlichkeit. Pflichtverteidigerbestellung. Pflichtverteidigerbeiordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Auch in Strafvollstreckungssachen ist die sofortige Beschwerde gegen Entscheidungen, mit welchen ein Befangenheitsantrag als unzulässig verworfen oder als unbegründet zurückgewiesen wird, nach § 28 Abs. 2 Satz 1 StPO statthaft (entgegen OLG Bremen vom 09.01.2019, 1 Ws 116/18) (Rn. 23 - 25)

 

Normenkette

StGB § 57 Abs. 1, § 67e Abs. 2; StPO § 26a Abs. 1 Nr. 3, § 28 Abs. 2 S. 2, §§ 229, 305 S. 1, § 453 Abs. 1 S. 4, §§ 454, 462 Abs. 1 S. 1, § 463 Abs. 6 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Traunstein (Entscheidung vom 15.07.2020; Aktenzeichen StVK 1530/19)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten W... vom 22.07.2020 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Traunstein vom 15.07.2020, mit dem der Antrag des Verurteilten vom 09.07.2020, Richter am Landgericht B... wegen Befangenheit abzulehnen, zurückgewiesen wurde, wird als unbegründet kostenpflichtig verworfen.

 

Gründe

I.

Mit Urteil des Amtsgerichts Würzburg vom 24.10.2016, rechtskräftig seit 26.06.2018, wurde der Beschwerdeführer wegen Betrugs in zwei tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt.

Mit Urteil des Amtsgerichts München vom 12.01.2018, rechtskräftig seit 14.02.2019, wurde der Beschwerdeführer wegen 17 tatmehrheitlicher Fälle des gewerbsmäßigen Betrugs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren 6 Monaten verurteilt.

Aus den Einzelstrafen der beiden vorgenannten Verurteilungen bildete das Amtsgericht München unter Auflösung der Gesamtstrafen mit Beschluss vom 18.02.2020, rechtskräftig seit 03.06.2020, eine Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von 3 Jahren 1 Monat.

Mit Verfügung vom 22.06.2020 wies Richter am Landgericht B... von der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Traunstein den Beschwerdeführer unter anderem darauf hin, dass "aufgrund der eventuell voll verbüßten Strafzeit die Frage nach dem Eintritt einer Führungsaufsicht und damit verbundener Weisungen im Raum" stehe, die Strafkammer die Voraussetzungen für die Bestellung einer Pflichtverteidigerin nicht als gegeben ansehe und räumte dem Beschwerdeführer hierzu Gelegenheit zu einer kurzfristigen Stellungnahme ein.

Mit Schreiben vom 26.06.2020 nahm der Beschwerdeführer Stellung und beantragte, Frau Rechtsanwältin Dr. G... als Pflichtverteidigerin beizuordnen.

Mit Beschluss vom 02.07.2020 lehnte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Traunstein den Antrag des Verurteilten, ihm einen Pflichtverteidiger zu bestellen, ab. Dieser Beschluss ist von Richter am Landgericht B... unterschrieben.

Am 03.07.2020 ging der Antrag der Staatsanwaltschaft München I vom 24.06.2020 auf Ausgestaltung der Führungsaufsicht bei der Strafvollstreckungskammer ein.

Mit Verfügung von Richter am Landgericht B... vom 03.07.2020 räumte die Strafvollstreckungskammer dem Verurteilten und seiner Verteidigerin, Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 2 Wochen zum Antrag der Staatsanwaltschaft München I ein.

Mit Schreiben vom 09.07.2020 lehnte der Beschwerdeführer Richter am Landgericht B... wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung verwies der Beschwerdeführer auf die Ablehnung seines Antrags auf Beiordnung von Rechtsanwältin Dr. G... als Pflichtverteidigerin und darauf, dass ihm mit Schreiben der Führungsaufsichtsstelle bei dem Landgericht Traunstein der Eintritt der Führungsaufsicht mit Vollverbüßung mitgeteilt worden sei, obwohl noch die Stellungnahmefrist der Strafvollstreckungskammer zur Ausgestaltung der Führungsaufsicht lief.

Am 14.07.2020 nahm Richter am Landgericht B... dienstlich Stellung zum Ablehnungsgesuch des Beschwerdeführers.

Mit Beschluss vom 15.07.2020 wies die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Traunstein den Befangenheitsantrag vom 09.07.2020 gegen Richter am Landgericht B... zurück.

Gegen diesen ihm am 22.07.2020 zugestellten Beschluss legte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 22.07.2020, welches am 27.07.2020 bei Gericht einging, sofortige Beschwerde ein.

Mit Ablauf des 18.07.2020 hat der Beschwerdeführer die Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Beschluss des Amtsgerichts München vom 18.02.2020 vollständig verbüßt, bis 14.07.2020 befand sich der Beschwerdeführer in der JVA Bernau, seit seiner Verlegung befindet sich der Beschwerdeführer in der JVA München und seit 19.07.2020 in Untersuchungshaft.

Die Generalstaatsanwaltschaft München hält die sofortige Beschwerde für zulässig, aber unbegründet.

Mit Verfügung vom 10.09.2020 leitete der Senat dem Beschwerdeführer und seiner Rechtsanwältin die dienstliche Stellungnahme von Richter am Landgericht B... vom 14.07.2020 zu und teilte mit, dass der Senat nicht vor dem 17.09.2020 über die sofortige Beschwerde entscheiden werde.

II.

1. Die sofortige Beschwerde ist statthaft.

Es ist in der Literatur und Rechtsprechung umstritten, ob die sofortige Beschwerde gegen die Zurückweisung eines Befangenheitsantrags im Strafvollstreckungsverfahr...

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