Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweilige Anordnung über Umgangsrecht: Örtliche Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren bei zwischenzeitlichem Aufenthaltswechsel des betroffenen Kindes

 

Leitsatz (amtlich)

1. Hat ein Gericht eine einstweilige Anordnung erlassen, ist es auch dafür zuständig, auf Antrag eines Beteiligten das Hauptsacheverfahren einzuleiten. Das gilt auch dann, wenn für ein Hauptsacheverfahren ohne vorangegangene einstweilige Anordnung eine andere örtliche Zuständigkeit bestünde (z.B. bei einem zwischenzeitlichen Aufenthaltswechsel eines Kindes in einer Kindschaftssache).

2. Das Gericht ist allerdings nicht grundsätzlich daran gehindert, das eingeleitete Hauptsacheverfahren nunmehr aus wichtigem Grund an ein anderes Gericht abzugeben.

 

Normenkette

FamFG §§ 4, 5 Abs. 1 Nr. 5, § 52 Abs. 1 S. 1, § 54 Abs. 3

 

Verfahrensgang

AG München (Beschluss vom 26.11.2010; Aktenzeichen 55 F 12972/10)

 

Tenor

1. Der Beschluss des AG München vom 26.11.2010 im Verfahren 555 F 12972/10 wird aufgehoben.

2. Der Antragstellerin wird Verfahrenskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwältin S. bewilligt.

 

Gründe

I. Mit Schriftsatz vom 4.11. 2010 begehrte die Antragstellerin Verfahrenskostenhilfe für den Antrag, ihr abweichend von der mit Beschluss vom 10.6.2010 im Verfahren der einstweiligen Anordnung ergangenen Entscheidung die elterliche Sorge für ihre Tochter Selina zu übertragen, hilfsweise unter Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge das Aufenthaltsbestimmungsrecht.

Das AG hat mit Beschluss vom 26.11.2010 die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe abgelehnt. Das beruht auf der Annahme, für das Antragsverfahren örtlich nicht zuständig zu sein.

Der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes liegt unstrittig seit 21.4.2010 in Schorndorf. Dort lebt der Vater, dem das Mädchen auf seinen persönlichen Wunsch nach einer Inobhutnahme übergeben worden war. Das Kind hin habe sich dort dauerhaft niedergelassen und gehe dort in die Schule. Der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes sei in zulässiger Weise begründet worden, zumal mit gerichtlicher Entscheidung vom 29.4.2010 die elterliche Sorge auf den Vater übertragen wurde. Der Aufenthalt sei auch auf Dauer angelegt. Deshalb ergebe sich die Zuständigkeit des AG Schorndorf für das Hauptsacheverfahren aus § 152 FamFG.

Gegen diesen am 10.12.2010 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin mit einem am 14.12.2010 eingegangenen Schriftsatz vom 13.12.2010 sofortige Beschwerde eingelegt. Sie ist der Auffassung, dass auch für die Einleitung des Hauptsacheverfahrens das Gericht zuständig sei, welches die einstweilige Anordnung erlassen habe Sie beruft sich hierfür auf einen Beschluss des AG Schorndorf vom 17.9.2010 - 4 F 533/10 u.a.. Mit dieser Entscheidung wurde ihr für ein Verfahren mit identischer Zielrichtung Verfahrenskostenhilfe verweigert, weil das AG München das für die Durchführung eines Hauptverfahrens i.S.v. § 52 Abs. 1 FamFG zuständige Gericht sei.

Das AG München hat mit Beschluss vom 14.12.2010 der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem OLG München vorgelegt.

II. Das Rechtsmittel ist nach § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt.

Die sofortige Beschwerde ist auch begründet.

1. Das AG München hat zu Unrecht seine Zuständigkeit für die Einleitung des Hauptsacheverfahrens gem. § 52 Abs. 1 Satz 1 FamFG verneint und deshalb wegen vermeintlich mangelnder Erfolgsaussicht des Verfahrensziels die begehrte Verfahrenskostenhilfe abgelehnt.

a) Zwar trifft § 52 Abs. 1 Satz 1 FamFG keine eindeutige Festlegung dahingehend, dass "das Gericht" im Sinne dieser Vorschrift dasjenige sein müsse, welches die einstweilige Anordnung erlassen habe. Die vom Gesetzgeber betonte Selbständigkeit des Verfahrens der einstweiligen Anordnung von einem Hauptsacheverfahren (BT-Drucks. 16/6308, 199, 201) könnte grundsätzlich auch eine Deutung dahingehend zulassen, dass im Fall einer abweichenden Zuständigkeit mehrerer Gerichte das Hauptsacheverfahren auf Antrag bei dem hierfür zuständigen Gericht einzuleiten sei, wie das AG München meint.

b) Jedoch spricht der Zusammenhang der Regelungen in §§ 49 ff. FamFG für die Auslegung, dass der Begriff "das Gericht" insoweit einheitlich zu verstehen und auch im Rahmen von § 52 Abs. 1 Satz 1 FamFG nur auf dasjenige Gericht zu beziehen ist, welches die einstweilige Anordnung erlassen hat. Das wird im Schrifttum so befürwortet von Löhnig/Heiß in Bork/Jacoby/Schwab, FamFG, Rz. 8 sowie von Giers in Keidel, FamFG-Familienverfahren/Freiwillige Gerichtsbarkeit, 16. Aufl., Rz. 5, jeweils zu § 52). In der übrigen Kommentarliteratur wird die Problematik nicht näher angesprochen, sondern offenbar ohne weiteres die vorgenannte Zuständigkeit unterstellt.

Aus § 54 Abs. 3 FamFG, welcher eine ausdrückliche Zuständigkeitsregelung für die Aufhebung oder Änderung der Entscheidung über die einstweilige Anordnung trifft, ist kein Umkehrschluss zu entnehmen. Die dortige Erwähnung des Gerichts, "das die einstweilige An...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?