Entscheidungsstichwort (Thema)

Abweichende Entscheidung des Berufungsgerichts trotz wirksamer Berufungsbeschränkung. Einschaltung eines Sachverständigen bei Beurteilung der eingeschränkten Schuldfähigkeit

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Bei wirksamer Berufungsbeschränkung ist § 318 StPO verletzt, wenn das Berufungsgericht in Verkennung der durch die wirksame Berufungsbeschränkung eingetretenen Bindungswirkung des durch das Amtsgericht festgestellten Sachverhalts über einen Aspekt der Schuldfrage - die Betäubungsmittelabhängigkeit der Angeklagten - abweichend entscheidet.

2. a) Die rechtliche Erheblichkeit der Verminderung des Hemmungsvermögens hängt von den Anforderungen ab, welche die Rechtsordnung an das Verhalten des Einzelnen zu stellen hat. Diese zu bewerten und zu entscheiden, ist Sache des Richters. Allein zur Beantwortung einer Vorfrage nach den medizinisch-psychiatrischen Anknüpfungstatsachen bedarf er sachverständiger Hilfe, sofern er hierzu nicht aufgrund eigener Sachkunde befinden kann.

b) Nimmt das Landgericht jedoch eigene Sachkunde für sich in Anspruch, so ist es notwendig, dass es diese in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren und überprüfbaren Weise in den Urteilsgründen darstellt; dies ist nicht geschehen, so dass die notwendige Sachkunde durch die Strafkammer nicht belegt ist. Ein allgemeiner Hinweis auf eine langjährige, nicht näher beschriebene Erfahrung reicht hierfür angesichts der langjährigen Drogenkarriere und der Substitution der Angeklagten nicht aus.

 

Verfahrensgang

LG Augsburg (Urteil vom 17.12.2007; Aktenzeichen 5 Ns 303 Js 121118/07)

 

Tenor

I. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 17. Dezember 2007 samt den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Augsburg zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Augsburg verurteilte die Angeklagte am 11.9.2007 wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren.

Die hiergegen eingelegte Berufung der Angeklagten, die diese auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte, verwarf das Landgericht am 17.12.2007 mit der Maßgabe, dass es die Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilte.

Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit dem Rechtsmittel der Revision. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts; insoweit nimmt der Senat auf den Schriftsatz der Verteidigung vom 3.3.2008 Bezug. Die Frage der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB ist von der Revision ausdrücklich ausgenommen.

II.

Das statthafte (§ 333 StPO) und auch im Übrigen zulässige (§ 341 Abs. 1, §§ 344, 345 StPO) Rechtsmittel der Revision der Angeklagten hat - zumindest vorläufig - Erfolg.

1. Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Beschränkung der Berufung der Angeklagten auf den Rechtsfolgenausspruch wirksam gewesen ist. Das Revisionsgericht prüft die Wirksamkeit der Beschränkung von Amts wegen, denn es handelt sich insoweit um eine Frage der Teilrechtskraft, eines von Amts wegen zu beachtenden Prozesshindernisses (Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 318 Rn. 33). Die Berufungsbeschränkung erweist sich im vorliegenden Fall als wirksam, da die Feststellungen des angefochtenen amtsgerichtlichen Urteils zum Schuldspruch klar, vollständig und ohne Widersprüche sind, so dass die Straffrage losgelöst von dem nicht angegriffenen Teil der Entscheidung rechtlich und tatsächlich selbständig beurteilt werden kann. Insbesondere enthält das amtsgerichtliche Urteil noch ausreichende Feststellungen zum Mindestwirkstoffgehalt des von der Angeklagten erworbenen Rauschgifts.

2. Das landgerichtliche Urteil war jedoch aufzuheben, da die Strafkammer in Verkennung der durch die wirksame Berufungsbeschränkung eingetretenen Bindungswirkung des durch das Amtsgericht festgestellten Sachverhalts über einen Aspekt der Schuldfrage - die Betäubungsmittelabhängigkeit der Angeklagten - abweichend entschieden hat (vgl. BayObLGSt 1999, 83/84; 2004, 58).

a) Das Amtsgericht hat in seinen Urteilsgründen festgestellt, dass die Angeklagte die ihr zur Last gelegten Straftaten “aufgrund ihrer Betäubungsmittelabhängigkeit„ begangen hat (U.S. 4). Dem gegenüber kam das Landgericht zu dem Ergebnis, dass bei der Angeklagten zu den Tatzeitpunkten lediglich eine “Drogenaffinität„ vorgelegen habe (BU S. 13, 14, 16, 17, 18). Die Strafkammer legt damit ihrer Entscheidung über den Rechtsfolgenausspruch eine Feststellung zugrunde, die im Widerspruch zu den den Schuldspruch tragenden Feststellungen des Amtsgerichts steht.

b) Bei einer Strafmaßberufung darf das Berufungsgericht zwar die Sachdarstellung des Ersturteils ergänzen, die ergänzenden Feststellungen dürfen allerdings den vom Erstrichter getroffenen Feststellungen nicht widersprechen, da die für den Schuld- und Strafausspruch maßgebenden Tatsachen ein einheitliches, widerspruchsfreies Ganzes bilden müssen...

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