Entscheidungsstichwort (Thema)
Betreuungsverfahren: Bestimmung der gerichtlichen Zuständigkeit zur Betreuerbestellung bei fehlendem Inlandsaufenthaltsort; Ort des Fürsorgebedürfnisses bei unzureichender Bevollmächtigung; Verfahrensführung bei örtlicher Zuständigkeitskonkurrenz
Leitsatz (amtlich)
1. Hat ein Betroffener keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, kann ein Fürsorgebedürfnis für die erstmalige Bestellung eines Betreuers auch an dem Ort entstehen, an dem sein Immobilieneigentum liegt.(Rz. 10)
2. Reicht eine vom Betroffenen erteilte Vollmacht nicht zur Verfügung über die Immobilie aus und wird deshalb eine Betreuerbestellung notwendig, kann das Fürsorgebedürfnis auch an dem Ort entstehen, an dem der unzureichend Bevollmächtigte oder einer von mehreren Bevollmächtigten einen inländischen gewöhnlichen Aufenthalt hat.(Rz. 17)
3. Kommen mehrere Orte für eine Ersatzzuständigkeit nach dem Bedürfnis der Fürsorge in Betracht, ist das Gericht zuständig, welches als erstes mit der Sache befasst wurde.(Rz. 18)
Normenkette
FamFG § 2 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, § 272 Abs. 1 Nr. 3
Verfahrensgang
Tenor
Das AG München ist zur Führung des Betreuungsverfahrens zuständig.
Gründe
I.1. Die Betroffene hat in einer am 6.7.2007 unterzeichneten Urkunde ihrem - zwischenzeitlich verstorbenen - Ehemann, ihrer Tochter und ihrem Bruder eine Vorsorgevollmacht erteilt. Die drei Bevollmächtigten sind in dieser Reihenfolge aufgeführt. Eine Klarstellung, ob sie in dieser Rangfolge einzeln handeln dürfen oder nur gemeinschaftlich, enthält die Urkunde nicht.
Derzeit befindet sich die Betroffene in schlechtem Gesundheitszustand in einem Alten- und Pflegeheim in A.. Sie ist erheblich pflegebedürftig und nicht reisefähig.
Die Betroffene ist Eigentümerin einer leerstehenden Wohnung in der D.-Straße in R.. Diese soll nunmehr verkauft werden, wofür die privatschriftlich erteilte Vollmacht nicht ausreicht.
2. Der Beteiligte zu 2 hat mit Schreiben vom 29.7.2010 beim AG München die Einleitung eines Betreuungsverfahrens angeregt mit dem Ziel, die Beteiligte zu 1 zur Betreuerin zu bestellen mit der Aufgabe, die Immobilie zu verkaufen.
Das AG München hat nach Einholung einer Stellungnahme der Betreuungsbehörde beschlossen, das Verfahren an das AG Regensburg zur Weiterführung zu übersenden. Die zu veräußernde Wohnung, wegen der das Fürsorgebedürfnis bestehe, liege in R..
Das AG Regensburg hat die Übernahme des Verfahrens abgelehnt. Allein die Lage einer Immobilie könne kein Fürsorgebedürfnis begründen. Das Bedürfnis für eine Betreuungserrichtung ergebe sich vielmehr daraus, dass die Bevollmächtigte "aus dem Raum München" keine notarielle Vollmacht habe und daher zum Verkauf von Grundstücken eine Betreuerbestellung erforderlich werde.
II.a) Das OLG München ist zur Bestimmung des zuständigen Gerichts berufen, weil die AG München und Regensburg sich jeweils für unzuständig erklärt haben und das AG München zuerst mit der Sache befasst war (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. Abs. 2 FamFG).
b) Die Zuständigkeit für das Betreuungsverfahren ist nach § 272 Abs. 1 FamFG zu bestimmen.
aa) Da bisher noch kein Betreuer bestellt ist und die Betroffene auch nicht ihren derzeitigen gewöhnlichen Aufenthalt in einem der beiden Gerichtsbezirke hat, ist die örtliche Zuständigkeit desjenigen AG zu bestimmen, in dessen Bezirk das Bedürfnis der Fürsorge hervortritt (§ 272 Abs. 1 Nr. 3 FamFG).
bb) Insoweit ist es keineswegs fernliegend, das Fürsorgebedürfnis in vermögensrechtlichen Angelegenheiten dort zu bejahen, wo eine einzelne Angelegenheit zu regeln ist, und in Grundstücksangelegenheiten auf den Gerichtsbezirk abzustellen, in dem das Grundstück liegt (vgl. Bumiller/Harders, FamFG - Freiwillige Gerichtsbarkeit 8. Aufl. Rz. 6; Keidel/Budde FamFG - Familienverfahren Freiwillige Gerichtsbarkeit 16. Aufl. Rz. 3; Schulte-Bunert/Weinreich/Rausch FamFG Rz. 9; Knittel BtR Rz. 22, jeweils zu § 272 FamFG).
cc) Allerdings hat hier die Überlegung Gewicht, das Fürsorgebedürfnis könne auch darin liegen, dass eine dem oder den Bevollmächtigten erteilte Vollmacht nicht ausreicht, sondern um eine insoweit die fehlende Rechtsmacht ersetzende Betreuung ergänzt werden muss. Das kann dafür sprechen, grundsätzlich die Zuständigkeit nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Bevollmächtigten zu bestimmen.
Dieser Gedanke mag besonders dann naheliegen, wenn einerseits der Bevollmächtigte einen inländischen gewöhnlichen Aufenthalt hat, andererseits aber ggf. mehrere Grundstücke des Betroffenen in verschiedenen Gerichtsbezirken belegen sind.
dd) Beides ist hier allerdings nicht der Fall. Die Annahme des AG Regensburg, "die Bevollmächtigte" lebe im Raum München, ist unzutreffend, wenn dies auf die Beteiligte zu 1) bezogen ist in der Annahme, sie sei die gegenwärtig alleinige Bevollmächtigte. Denn offensichtlich besteht ihr gewöhnlicher Aufenthalt lediglich in den USA.
Jedoch wäre dieser Gesichtspunkt nur dann geeignet, von vornherein ein Fürsorgebedürfnis im Bezirk des AG München zu verneinen, wenn die Beteiligt...