Leitsatz (amtlich)
Fehlt es an einem gewöhnlichen Aufenthaltsort des Kindes, weil es wie noch in der Geburtsklinik in Obhut genommen wird, kommt es für die örtliche Zuständigkeit auf den Ort des Fürsorgebedürfnisses nach § 152 Abs. 3 FamFG an.
Das Fürsorgebedürfnis tritt dort auf, wo sich das Kind tatsächlich aufhält oder bei dem Gericht, an welches sich ein Beteiligter mit einem Antrag/einer Anregung auf Tätigwerden richtet.
Tritt das Bedürfnis der Fürsorge an verschiedenen Orten hervor, ist für die Zuständigkeit eine Gesamtschau nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten vorzunehmen.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Zweckmäßigkeitsbeurteilung ist der Antragseingang (§ 2 Abs. 2 FamFG).
Etwaige aus einer nachträglichen Veränderung der Umstände folgende Unbilligkeit, wie insbesondere ein Auseinanderfallen gerichtlicher Zuständigkeiten, sind nach der gesetzlichen Systematik über eine (Rück-)Abgabe nach § 4 FamFG aufzufangen.
Das Vorlageverfahren nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG kann mit dem Verfahren nach § 5 Abs. 1 Nr. 5 FamFG verbunden werden, wenn das vorlegende Gericht vorsorglich beim verweisenden Gericht ein Übernahmeverlangen stellt, welches vom verweisenden Gericht abgelehnt wird.
Tenor
Das Amtsgericht Hamburg-St. Georg wird als zuständiges Gericht bestimmt.
Gründe
I. Gegenstand des Verfahrens ist die Bestimmung des zuständigen Gerichts im Rahmen eines einstweiligen Anordnungsverfahrens nach § 1666 BGB.
Das betroffene Kind wurde am 23.7.2023 im AK ..., welches sich im Bezirk des Amtsgerichts Hamburg-Barmbek befindet, geboren. Die Mutter lebte ursprünglich in B. und zog etwa drei Monate vor der Geburt nach Hamburg in eine Wohnung im Bezirk des Amtsgerichts Hamburg-Barmbek. Das Krankenhaus meldete nach der Geburt an das Jugendamt, dass Bedenken hinsichtlich der Erziehungsfähigkeit der Mutter bestünden. Das für die Wohnung der Mutter zuständige Jugendamt führte daraufhin Gespräche mit der Mutter und einen Hausbesuch in der Wohnung durch. Es gelangte zu der Einschätzung, dass die Mutter mit der Versorgung und Betreuung eines Säuglings überfordert sei und deshalb eine Unterbringung in einer Mutter-Kind-Einrichtung notwendig sei. Hiermit war die Mutter nicht einverstanden. Sie wollte mit dem Kind in die Wohnung nach Hamburg-Barmbek zurückziehen. Am 2.8.2023 nahm das Jugendamt das Kind daraufhin in Obhut und verbrachte es in das Kinderschutzhaus S., welches sich im Bezirk des Amtsgerichts Hamburg-St. Georg befindet. Ferner regte das Jugendamt am 2.8.2023 - nach der Inobhutnahme - den Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Entziehung von Teilbereichen des Sorgerechts beim Amtsgericht Hamburg-Barmbek an. Mit Beschluss vom 3.8.2023 entzog das Amtsgericht Hamburg-Barmbek der Mutter Teile der elterlichen Sorge und bestellte dem Kind einen Verfahrensbeistand. Mit Verfügung vom 7.8.2023 wies es darauf hin, dass es nicht örtlich zuständig sei.
Am 8.8.2023 wechselte das Kind in eine Bereitschaftspflegefamilie außerhalb Hamburgs.
Am 10.8.2023 widersprach der Verfahrensbeistand der Verweisung und wies darauf hin, dass sich das Kind nicht mehr im Kinderschutzhaus S. aufhalte. Das Kind sei im Krankenhaus in Hamburg-Barmbek geboren. Dieses liege im Gerichtsbezirk Hamburg-Barmbek. Dort sei daher zuerst Kenntnis von der Fürsorgebedürftigkeit des Kindes erlangt worden.
Die übrigen Beteiligten äußerten sich zur beabsichtigten Verweisung nicht.
Mit Beschluss vom 14.8.2023 erklärte sich das Amtsgericht Hamburg-Barmbek für örtlich unzuständig und verwies das Verfahren an das Amtsgericht Hamburg-St. Georg. Zur Begründung hat es ausgeführt:
"Das am 23.07.2023 geborene Kind J. hat derzeit an keinem Ort einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet, denn es befand sich unmittelbar nach der Entlassung aus der Geburtsklinik seit dem 02.08.2023 im Kinderschutzhaus S., (..) Hamburg und ist am 08.08.2023 nach Angaben des Verfahrensbeistands in eine Bereitschaftspflegestelle gewechselt. Ein gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes hat sich noch nicht entwickelt, dieser ist auch nicht mit dem Aufenthalt der Eltern des Kindes gleichzusetzen. Die örtliche Zuständigkeit für das vorliegende Sorgerechtsverfahren bestimmt sich damit nach § 152 Abs. 3 FamFG. Nach der Gesetzesbegründung ist damit dasjenige Gericht zuständig, in dessen Bezirk das Bedürfnis der Fürsorge hervortritt (vgl. BT-Drs. 16/6308, S. 235) und nicht dasjenige Gericht, dass zuerst Kenntnis von der Fürsorgebedürftigkeit erhält (OLG Hamburg, B.v. 7.11.2014 - Az. 2 AR 18/14). Das Bedürfnis der Fürsorge besteht dort, wo sich das Kind gerade tatsächlich aufhält zu dem Zeitpunkt, zu dem dem Gericht das Fürsorgebedürfnis amtlich bekannt wird (Johannsen/Henrich/Althammer, Familienrecht, § 152 FamFG, Rz. 7, zitiert nach beck-online). Der tatsächliche Aufenthaltsort des Kindes zum Zeitpunkt der Antragstellung war im Kinderschutzhaus S., so dass das Amtsgericht Hamburg-St.Georg als Fürsorgegericht örtlich zuständig ist."
Das Amtsgericht Hamburg-St. Georg führte am 7.9.2023 eine Kindesanhörung und am 8.9.2023 eine mündliche An...