Entscheidungsstichwort (Thema)
Anleger, Ersatzpflicht, KapMuG, Anspruch, Unternehmen, AG, Aktien, Haftung, Anlage, Aussetzungsverfahren, Beweisaufnahme, Berechnung, Verfahren, Aktie, berechtigtes Interesse, ins Blaue hinein, billigend in Kauf
Verfahrensgang
LG München I (Beschluss vom 14.03.2022; Aktenzeichen 3 OH 2767/22 KapMuG) |
Tenor
I. Der Senat beabsichtigt, das Berufungsverfahren im Hinblick auf den am 16.03.2022 im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlichten Vorlagebeschluss des Landgerichts München I - 3. Zivilkammer - vom 14.03.2022, Gz. 3 OH 2767/ 22 KapMuG, gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 KapMuG auszusetzen.
II. Es ist ferner beabsichtigt, die Höhe des Anspruchs, soweit er von den Feststellungszielen des Musterverfahrens betroffen ist (§ 8 Abs. 4 KapMuG), auf 14.912,85 EUR festzusetzen.
III. Die Parteien erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme bis 30.09.2022. Die Stellungnahmen des Beklagtenvertreters in den Schriftsätzen vom 29.04. und 29.06.2022 wurde bei diesem Hinweis bereits berücksichtigt.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen des Kaufs einer auf die Aktie der W. AG bezogenen Anleihe in Anspruch.
Sie behauptet, am 28.01.2020 Aktienanleihen "LB.H.-T. GZ ... WDI" (ISIN: ...Q3) zum Preis von 15.000,00 EUR erworben und diese am 22.01.2021 zum Preis von 87,15 EUR wieder verkauft zu haben. Hieraus errechne sich ein Schaden in Höhe von 14.912,85 EUR. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Ausführungen auf S. 3 der Klageschrift vom "02.02.2020" (= Bl. 3 d.A.) und auf das Anlagenkonvolut K 1 Bezug genommen.
Die Beklagte hat als Abschlussprüferin die Jahresabschlüsse der W. AG für die Geschäftsjahre 2015 bis 2018 uneingeschränkt testiert. Ihr oblag auch die Prüfung der Konzernabschlüsse. Am 27.04.2020 wurde die für den 29.04.2020 geplante Veröffentlichung des Geschäftsberichts 2019 verschoben. Am 28.04.2020 wurde der KPMG-Sonderbericht veröffentlicht. Mit Ad-hoc-Mitteilung vom 18.06.2020 gab die W. AG bekannt, dass die Beklagte sie informiert habe, dass für Bankguthaben auf Treuhandkonten in Höhe von 1,9 Milliarden EUR noch keine ausreichenden Prüfnachweise vorhanden sind und die Abschlussprüfung daher nicht, wie geplant, bis 18.06.2020 abgeschlossen werden kann. Die W. AG teilte am 22.06.2020 ad-hoc mit, dass die genannten Bankguthaben auf Treuhandkonten mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht bestehen, und am 25.06.2020, dass sie entschieden habe, Insolvenzantrag zu stellen. Die Beklagte versagte den Bestätigungsvermerk für den Jahresabschluss 2019. In der Zeit nach dem 18.06.2020 fiel der Kurs der W.-Aktie stark.
Die Klagepartei wirft der Beklagten unter Auswertung des KPMG-Sonderprüfungsberichts vom 27.04.2020 (Anlagen K3 und K3a), des 1. Sachstandsberichts des Insolvenzverwalters der W. AG vom 19.05.2021 (Anlage K 25) und des W.-Berichts vom 16.04.2021 (Anlage K 29) vor, schuldhaft die Konzernabschlüsse der W. AG für die Jahre 2016 bis 2018 testiert zu haben, obwohl das Unternehmen seinen Cash-Bestand jeweils um mehr als 1 Milliarde EUR überhöht ausgewiesen habe. Der Klägerin zufolge hätte die Beklagte unabhängig davon in den Bestätigungsvermerken auch darauf hinweisen müssen, dass die von der W.AG gewählte Bilanzierungsart für 1 Milliarde EUR (angebliche) Zahlungsmitteläquivalente nicht zulässig sei. Die Beklagte habe derart nachlässig geprüft, dass sie den Anlegern unter anderem aus § 826 BGB hafte; sie habe insbesondere bewusst eine einfache Prüfungshandlung, nämlich die Einholung von Saldenbestätigungen für zwei Treuhandkonten bei zwei Kreditinstituten, nicht durchgeführt, sondern sich mit Bestätigungen des Treuhänders begnügt. Den Eintritt eines Vermögensschadens bei den Anlegern habe die Beklagte zumindest billigend in Kauf genommen. Ohne die zu beanstandenden Bestätigungsvermerke der Beklagten hätte die W. AG nach Behauptung der Klägerin ihre Geschäfte nicht fortsetzen können; durch die Testatsverweigerung wäre es bereits vor der Investitionsentscheidung der Klägerin zu einem Zusammenbruch des Konzerns gekommen, der offensichtlich seit Jahren nur Verluste erwirtschaftet habe und nur aufgrund der Bilanzmanipulationen habe fortbestehen können. Dann hätte sich die Klägerin überhaupt nicht mehr an dem Unternehmen beteiligen können (S. 42 f. der Klageschrift = Bl. 42 f. d.A.). Des Weiteren berief sich die Klagepartei für die Frage der Kausalität auf die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens und auf eine positive Anlagestimmung (S. 11 ff. des Schriftsatzes vom 29.04.2022 = Bl. 603 ff. d.A.).
Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Urteil des Landgerichts München I vom 17.05.2022 Bezug genommen.
In der Berufungsinstanz vertiefte die Klägerin ihren Vortrag unter Heranziehung des 2. Sachstandsberichts des Insolvenzverwalters vom 26.11.2021 (Anlage K 35).
Am 14.03.2022 erließ das Landgericht München I im Verfahren 3 OH 2767/22 KapMuG einen Vorlagebeschluss gemäß § 6 Abs. 1 KapMuG. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf diesen Beschluss, veröffentlicht im Bundesanzeiger am 16.03.2022, Bezug geno...