Entscheidungsstichwort (Thema)
KapMuG, Anleger, Insolvenzantrag, Auslegung, Aktien, Haftung, Tatsachenbehauptung, Verfahren, Kapitalmarktinformation, Anspruch, Versagung, Feststellungsziele, Anlage, Nachweis, von Amts wegen, nicht ausreichend
Verfahrensgang
LG München I (Aktenzeichen 28 O 4621/21) |
Tenor
I. Der Senat beabsichtigt, das Berufungsverfahren im Hinblick auf den am 16.03.2022 im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlichten Vorlagebeschluss des Landgerichts München I - 3. Zivilkammer - vom 14.03.2022, Gz. 3 OH 2767/ 22 KapMuG, gem. § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG auszusetzen. Dabei folgt der Senat nach gründlicher Prüfung im Wesentlichen den Erwägungen des 8. Zivilsenats im Beschluss vom 09.05.2022 im Verfahren 8 U 5530/21.
II. Es ist ferner beabsichtigt, die Höhe des Anspruchs, soweit er von den Feststellungszielen des Musterverfahrens betroffen ist (§ 8 Abs. 4 KapMuG), auf 37.449,34 EUR festzusetzen.
III. Die Parteien erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme bis 10.06.2022. Die Stellungnahme des Beklagtenvertreters im Schriftsatz vom 02.05.2022 wurde bei diesem Hinweis bereits berücksichtigt.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte wegen des Kaufs von Aktien der W. AG in Anspruch.
Er behauptet, er habe im Zeitraum vom 29.03.2019 bis 30.06.2020 1990 Stück Aktien zum Preis von insgesamt 58.144,08 EUR (390 Stück vor dem 18.06.2020 und 1600 Stück nach dem 18.06.2020) gekauft und diese im Zeitraum vom 18.06.2020 bis 02.07.2020 für insgesamt 14.875,09 EUR wieder verkauft. Unter Berücksichtigung des Prinzips "first in first out"ergebe sich hinsichtlich der Aktien, die vor der Ad-hoc-Mitteilung vom 18.06.2020 gekauft worden sind, ein Schaden in Höhe von 37.449,34 EUR (42.576,14 EUR Kaufpreis - 5.126,80 EUR Erlös). Die Käufe ab dem 18.06.2020 hätten auf einer emotionalen Ausnahmesituation beruht und sind nicht streitgegenständlich. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die als Anlage K 31 vorliegende Schadensberechnung Bezug genommen.
Die Beklagte hat als Abschlussprüferin die Jahresabschlüsse der W. AG für die Geschäftsjahre 2015 - 2018 uneingeschränkt testiert. Ihr oblag auch die Prüfung der Konzernabschlüsse. Am 27.04.2020 wurde die für den 29.04.2020 geplante Veröffentlichung des Geschäftsberichts 2019 verschoben. Am 28.04.2020 wurde der KPMG-Sonderbericht veröffentlicht. Mit Ad-hoc-Mitteilung vom 18.06.2020 gab die W. AG bekannt, dass die Beklagte sie informiert habe, dass für Bankguthaben auf Treuhandkonten in Höhe von 1,9 Milliarden EUR noch keine ausreichenden Prüfnachweise vorhanden sind und die Abschlussprüfung daher nicht, wie geplant, bis 18.06.2020 abgeschlossen werden kann. Die W. AG teilte am 22.06.2020 ad - hoc mit, dass die genannten Bankguthaben auf Treuhandkonten mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht bestehen, und am 25.06.2020, dass sie entschieden habe, Insolvenzantrag zu stellen. Die Beklagte versagte den Bestätigungsvermerk für den Jahresabschluss 2019. In der Zeit nach dem 18.06.2020 fiel der Kurs der W. Aktie stark.
Die Klagepartei trägt unter Auswertung des als Anlage K 15 vorgelegten KPMG-Sonderprüfungsberichts vom 27.04.2020 vor, die Beklagte habe ab dem Geschäftsjahr 2015 die Jahresabschlüsse nicht mehr testieren dürfen bzw. das Testat zumindestens einschränken müssen. Die Beklagte habe derart nachlässig geprüft, dass sie den Anlegern unter anderem aus § 826 BGB hafte; sie habe insbesondere bewusst eine einfache Prüfungshandlung, nämlich die Einholung einer Saldenbestätigung der jeweiligen Bank, nicht durchgeführt, sondern sich mit Bestätigungen des Treuhänders begnügt. Den Eintritt eines Vermögensschadens bei den Anlegern habe die Beklagte zumindestens billigend in Kauf genommen. Es sei selbstverständlich, dass die Anleger den positiven Prüfvermerken erhebliche Relevanz bei ihren Investitionsentscheidungen beigemessen hätten. Bei richtiger Testaterteilung wäre, wie im Juni 2020 geschehen, der Bilanzskandal aufgedeckt worden, der zum Einbruch des Aktienkurses auf Pennystock-Niveau führte (Blatt 20 des Schriftsatzes des Klägervertreters vom 28.09.2021 = Blatt 201 d. A.). Dann hätte die Klagepartei die streitgegenständlichen Wertpapiere nicht gekauft.
Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Urteil des Landgerichts München I vom 30.11.2021 Bezug genommen.
In der Berufungsinstanz vertiefte der Kläger seinen Vortrag auch unter Heranziehung des 2. Sachstandsberichts des Insolvenzverwalters vom 26.11.2021 (Anlage BK1) sowie des als Anlage BK2 vorgelegten sogenannten Wambach-Berichts.
II. Am 14.03.2022 erließ das Landgericht München I im Verfahren 3 OH 2767/22 KapMuG einen Vorlagebeschluss gemäß § 6 Abs. 1 KapMuG. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf diesen Beschluss, veröffentlicht im Bundesanzeiger am 16.03.2022, Bezug genommen.
III. Der Senat beabsichtigt, das vorliegende Verfahren im Hinblick auf diesen Vorlagebeschluss gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG auszusetzen.
Danach setzt das Prozessgericht nach der Bekanntmachung des Vorlagebeschlusses im Klageregister von Amts wegen alle bereits an...