Leitsatz (amtlich)
Angesichts der einhelligen Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum, dass bei gegen den Hersteller gerichteten Individualklagen aus Anlass des sogenannten Abgasskandals grundsätzlich wahlweise die Zuständigkeit an jedem Begehungsort (Handlungs-, Erfolgs- oder Schadensort) und damit sowohl am Sitz des Händlers als auch am Wohnsitz des Käufers begründet sein kann, ist - unabhängig von der jeweiligen Begründung - ein Verweisungsbeschluss, der dies nicht beachtet, grob rechtsfehlerhaft und daher objektiv willkürlich.
Normenkette
BGB § 826; ZPO §§ 32, 281
Verfahrensgang
LG München I (Aktenzeichen 18 O 10520/21) |
LG München I (Aktenzeichen 18 O 15415/21) |
LG Ingolstadt (Aktenzeichen 61 O 2407/21) |
Tenor
1. Örtlich zuständig ist das Landgericht München I.
2. Dessen Verweisungsbeschluss vom 14.9.2021 wird aufgehoben.
Gründe
I. Mit seiner zum Landgericht München I (Az. zunächst: 18 O 10520) erhobenen Klage vom 4.8.2021 begehrt der im Bezirk des Landgerichts München II wohnhafte Kläger von der im Bezirk des Landgerichts Ingolstadt ansässigen Beklagten Zahlung von Schadensersatz wegen des Kaufs eines vom sogenannten Abgasskandal betroffenen Diesel-Fahrzeugs. Das Fahrzeug hatte er am 10.3.2014 bei einem Autohändler im Bezirk des Landgerichts München I erworben.
Der Kläger führt aus, die Beklagte habe durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs unter Verschweigen der gesetzwidrigen Softwareprogrammierung eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung begangen. Der Kläger hätte bei Aufklärung über die installierte unrechtmäßige Software das Fahrzeug nicht erworben. Der Schaden sei bereits mit dem Abschluss des streitgegenständlichen Kaufvertrags entstanden.
Mit Verfügung vom 27.8.2021 hat das Landgericht München I die Durchführung eines schriftlichen Vorverfahrens angeordnet und - unter Fristsetzung zur Stellungnahme binnen zwei Wochen - darauf hingewiesen, dass gegen seine örtliche Zuständigkeit Bedenken bestünden. Der Handlungsort der behaupteten unerlaubten Handlung liege in Ingolstadt, der Erfolgsort bei Barzahlung dort, wo die Zahlung stattgefunden habe. Sollte der Kaufpreis per Überweisung bezahlt worden sein, komme es für den Erfolgsort der unerlaubten Handlung auf den Sitz des Bankinstituts an, von wo der Betrag vom Konto des Klägers abgehoben wurde. Der Wohnsitz sowie der Sitz des Unternehmens des Klägers liege im Bezirk des Landgerichts München II. Hierzu gebe es keinen Sachvortrag der Klagepartei.
Die Klage wurde der Beklagten am 2.9.2021 zugestellt.
Mit Schriftsatz vom 13.9.2021 beantragte der Kläger Verweisung an das Landgericht Ingolstadt.
Mit Beschluss vom 14.9.2021 hat sich das Landgericht München I ohne weitere Begründung unter Hinweis auf § 281 Abs. 1 ZPO für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Ingolstadt verwiesen.
Der Verweisungsantrag wurde gemäß Verfügung des Landgerichts München I der Beklagten mit dem Verweisungsbeschluss zugestellt. Die Verfügung wurde am 22.9.2021 ausgeführt.
Das Landgericht Ingolstadt (Az.: 61 O 2407/21) hat nach Anhörung der Parteien mit Beschluss vom 26.10.2021 die Übernahme des Verfahrens abgelehnt. Der Beschluss des Landgerichts München I entfalte keine Bindungswirkung, da er den Anspruch auf rechtliches Gehör verletze und sich als inhaltlich falsch und willkürlich erweise. Das Landgericht München I habe bereits am 14.9.2021 vor Ablauf der Stellungnahmefrist für die Beklagte am 16.9.2021 verwiesen. Das Gericht, bei dem die Sache anhängig sei, habe die zur Begründung der örtlichen Zuständigkeit vorgetragenen Umstände nicht nur von Amts wegen zu würdigen, sondern gegebenenfalls auch die für die rechtliche Beurteilung der Zuständigkeit maßgebenden tatsächlichen Verhältnisse weiter aufzuklären. Erst wenn danach eine Zuständigkeit bei ihm nicht eröffnet sei, könne es seine örtliche Unzuständigkeit feststellen und den Rechtsstreit auf Antrag verweisen. Erfolge die Verweisung ohne eine solche Prüfung, entbehre der Verweisungsbeschluss - wie vorliegend - jeder gesetzlichen Grundlage. In gegen den Hersteller gerichteten Individualklagen aus Anlass des sogenannten Abgasskandals werde eine Zuständigkeit nach § 32 ZPO sowohl bei dem Gericht am Sitz des Herstellers, des Händlers oder des Käufers bejaht. Das Landgericht München I sei somit als Gericht am Sitz des Händlers in jedem Fall auch zuständig und zuerst befasst.
Mit Beschluss vom 26.11.2021 hat das Landgericht München I (Az. nunmehr: 18 O 15415/21) das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Gerichts dem Oberlandesgericht München vorgelegt (Az.: 34 AR 138/21). Der Verweisungsbeschluss sei nicht willkürlich und entspreche der tatsächlichen, jedenfalls vertretbaren Rechtslage. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Beklagten liege nicht vor, da der Verweisungsbeschluss erst am 22.9.2021 ausgeführt worden sei. Es gehe aufgrund der auf der vorgelegten Rechnung angebrachten Anmerkung "ü/26.4.14" davon aus, dass der Kaufpreis überwiesen worden sei. Eine Barzahlung sei nicht ersichtlich; weiterer Vortr...