Leitsatz (redaktionell)
Zulässigkeit der Bezugnahme des Berufungs- auf das Ersturteil; Feststellungen zum Wirkstoffgehalt im Anwendungsbereich des § 29 Abs. 5 BtMG; Drohende Abschiebung und Sozialprognose; Unterbringung in einer Entziehungsanstalt)
1. Ein Berufungsurteil kann, sofern dadurch die Gesamtdarstellung nicht unklar wird, in der Weise auf das Urteil erster Instanz Bezug nehmen, dass genau angegeben wird, in welchem Umfang dessen Inhalt übernommen wird.
2. Bei einer geringen Menge i.S. von § 29 Abs. 5 BtMG sind Feststellungen zum Wirkstoffgehalt des Heroins entbehrlich, wenn das Gericht nach dem Grundsatz “in dubio pro reo„ zu Gunsten des Angeklagten ersichtlich von einem denkbar schlechten Wirkstoffgehalt ausgegangen ist.
3. Die Privilegierung des § 29 Abs. 5 BtMG soll grundsätzlich weder den Dauerkonsumenten noch den Abhängigen vor Strafe bewahren und kann nur in Ausnahmefällen auf einschlägig Verurteilte oder Dauerkonsumenten angewandt werden.
4. Ohne nähere Begründung ist die drohende Abschiebung für die Frage der Sozialprognose i.S. von § 56 Abs. 1 StGB nicht relevant.
5. Unter Berücksichtigung von Vorstrafen, die eine Vielzahl von Verstößen gegen das Betäubunsgmittelgesetz beinhalten, der 10-jährigen Drogenabhängigkeit des Angeklagten, der seit dem Jahr 2000 heroinabhängig ist, und des Umstandes, dass der Angeklagte in der Vergangenheit keine einzige Bewährung oder Reststrafenbewährung durch gestanden hat, somit von ihm weitere erhebliche Straftaten zu erwarten sind, besteht für den Tatrichter hinreichender Anlass, die Voraussetzungen des § 64 StGB zu erörtern.
Verfahrensgang
LG Augsburg (Urteil vom 24.10.2006) |
AG Augsburg (Urteil vom 26.10.2005) |
Tenor
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 5. Mai 2006 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben, soweit von der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgesehen wurde.
II. Im Übrigen wird die Revision des Angeklagten verworfen.
III. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Augsburg zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Augsburg verurteilte den Angeklagten am 26.10.2005 wegen vorsätzlichen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von 2 Monaten und am 24.1.2006 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten.
Gegen beide Urteile wandte sich der Angeklagte mit dem Rechtsmittel der Berufung.
Nach Verbindung der Verfahren und Beschränkung der Berufungen auf den Rechtsfolgenausspruch durch den Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung verwarf das Landgericht Augsburg am 5.5.2006 die Berufungen mit der Maßgabe, dass der Angeklagte unter Verhängung von Einzelstrafen von je 2 Monaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt wurde.
Zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten stellte das Landgericht u.a. fest (BU S.3):
Der Angeklagte bestätigte die in dem Verfahren 11 Ds 301 Js 136088/05 gemachten Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen###
In dem Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 26.10.2005, 11 Ds 301 Js 136066/05 ist zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten u.a. ausgeführt (AU S. 2):
Seit Ende 1995/1996 ist er drogenabhängig. Zuerst hat er die Einstiegsdroge Haschisch genommen. Seit dem Jahre 2000 ist er heroinabhängig.
Bei der Frage, ob die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann, führte das Landgericht u.a. aus (BU S.13):
Der Angeklagte beging die Taten in offener Bewährung. Der Angeklagte musste bereits in der Vergangenheit mehrfach Freiheitsstrafen verbüßen, ohne dass er von der Begehung neuer Straftaten dadurch abgehalten worden wäre. Der Angeklagte hat in der Vergangenheit keine einzige Bewährung oder Reststrafenbewährung durch gestanden.
Mit der Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Insbesondere trägt er vor, die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts, insbesondere zu § 29 Abs. 5 BtMG, seien lückenhaft. Darüber hinaus gehe das Landgericht bei der Beurteilung der Sozialprognose nach § 56 Abs. 1 Satz 2 StGB von sachfremden Erwägungen, nämlich von einer dem Angeklagten drohenden Abschiebung, aus. Ferner habe das Landgericht die offensichtlich vorliegende Drogensucht des Angeklagten bei der Strafzumessung rechtsfehlerhaft nicht berücksichtigt. Völlig unbeachtet sei die Tatsache geblieben, dass der Angeklagten nach sehr langer Zeit erstmals wieder eine Arbeitsstelle gefunden habe; zwar habe das zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung bestehende Arbeitsverhältnis durch einen Umzug des Angeklagten aufgelöst werden müssen, es sei dem Angeklagten jedoch gelungen, sofort im Anschluss am 14.6.2006 eine neue feste Tätigkeit zu finden. Ebenfalls rechtsfehlerhaft habe es das Tatgericht unterlassen, die Möglichkeit einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB zu prüfen.
II.
Das statthafte (§ 333 StPO) und auch im Übrigen zulässige (§ 341 Abs. 1, §§ 334...