Leitsatz (amtlich)
1. Zur Pflicht des Grundbuchamts, ein öffentliches Testament selbständig und umfassend auszulegen.
2. Die Pflicht zur umfassenden Auslegung bezieht sich auch auf eine etwa einzutragende Nach- und Ersatznacherbfolge sowie Befreiungen des Vorerben.
Normenkette
GBO § 35 Abs. 1, § 51; BGB §§ 2136, 2137 Abs. 2, § 2232
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Beschwerde der Beteiligten wird die Zwischenverfügung des AG München - Grundbuchamt - vom 31.3.2011 aufgehoben.
Gründe
I. Im Wohnungs- und Teileigentumsgrundbuch ist noch der am 19.12.2010 verstorbene Erblasser Friedrich M. als Eigentümer eingetragen. Unter dem 2.3.2011 hat die Beteiligte, seine Witwe, als Erbin Grundbuchberichtigung beantragt. Sie hat dazu u.a. vorgelegt die beglaubigte Abschrift des nachlassgerichtlichen Protokolls vom 26.1.2011 über die Eröffnung der letztwilligen Verfügung, die beglaubigte Ablichtung der Sterbeurkunde und die beglaubigte Abschrift des notariellen gemeinschaftlichen Testaments vom 17.1.2005.
Im Testament ist unter II.1. (Erbeinsetzung) vom Erblasser verfügt:
"Ich setze meine Ehefrau ... zu meiner Alleinerbin ein.
Mein Sohn Thomas M. soll zunächst nur den Pflichtteil erhalten, da ich schon seit Jahren keine Verbindung mehr mit ihm habe und Kontaktversuche meinerseits von meinem Sohn nicht beachtet wurden.
Nacherbe und zugleich Ersatzerbe ist der Sohn meiner Ehefrau, Georg B ...
Sollte dieser vorverstorben sein, sind Ersatzerben dessen Kinder:
... jeweils zu gleichen Teilen."
Ferner:
"2 ...(Verfügungen der Beteiligten)
3. Die Erschienenen erklären gemeinsam:
a. Die Nacherbenanwartschaft ist nicht übertragbar und entgegen § 2108 II BGB ausdrücklich nicht vererblich.
b) Der Überlebende von uns ist berechtigt, frei über unser Vermögen zu verfügen und dieses Testament abzuändern.
..."
Am 31.3.2011 hat das Grundbuchamt unter Fristsetzung die Behebung folgenden Hindernisses durch Erbscheinsvorlage verlangt: Die von Amts wegen einzutragende Nacherbfolge ergebe sich nicht zweifelsfrei aus dem vorgelegten gemeinschaftlichen Testament. So stehe nicht fest, ob die Kinder des Herrn B. auch Ersatznacherben im Falle des Todes des Erblassers seien. Ferner stehe nicht fest, ob die Vorerbin von den Beschränkungen eines Vorerben, soweit gesetzlich zulässig, befreit sei.
Solle der Vorerbe allerdings mit den umfassenden Beschränkungen der angeordneten Nacherbfolge im Grundbuch eingetragen werden, so wäre ein Erbschein nicht erforderlich, indessen aber ein entsprechender Eintragungsantrag. Dann seien aber noch alle eröffneten Verfügungen von Todes wegen vorzulegen, auch solche, die widerrufen wurden.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beteiligten, die in Auslegung des öffentlichen Testaments davon ausgeht, ihr Sohn Georg B. solle als Nacherbe in das Grundbuch eingetragen werden. Es sei bewusst darauf verzichtet worden, die Ersatzerben ebenfalls als Ersatznacherben zu bestimmen. Etwas anderes sei nur gewollt, sofern die Beteiligte vorverstorben wäre. Der Beteiligten sei es jederzeit möglich, das Testament zu ändern, so dass auch von einer befreiten Vorerbschaft auszugehen sei.
II. Die Beschwerde, der nicht abgeholfen wurde, ist nach § 71 Abs. 1 GBO zulässig (vgl. Demharter, GBO, 28. Aufl., § 71 Rz. 1) und hat in der Sache auch Erfolg.
Für die im Weg der Grundbuchberichtigung vorzunehmende Eintragung der Beteiligten als (befreiter) Vorerbin und deren Sohnes Georg B. als Nacherben bedarf es nicht der Vorlage eines Erbscheins.
1. Nach § 35 Abs. 1 GBO kann der Nachweis der Erbfolge - auch der Nacherbfolge und der Ersatznacherbfolge - nur durch einen Erbschein geführt werden. Beruht jedoch die Erbfolge auf einer Verfügung von Todes wegen, die in einer öffentlichen Urkunde enthalten ist, wie hier in dem notariellen Testament (§ 2332 BGB), so genügt es, wenn an Stelle des Erbscheins die Verfügung und die Niederschrift über die Eröffnung der Verfügung vorgelegt werden (§ 35 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 GBO). Das Grundbuchamt kann jedoch die Vorlegung des Erbscheins verlangen, wenn die Erbfolge - oder die Nacherbfolge - durch diese Urkunden nicht als nachgewiesen erachtet wird (§ 35 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 GBO).
Dem Grundbuchamt obliegt es, die in der öffentlichen Urkunde enthaltene Verfügung von Todes wegen sowohl nach ihrer äußeren Form als auch nach ihrem Inhalt zu prüfen (herrschende Meinung, s. zuletzt Senat vom 12.1.2012, 34 Wx 501/11). Es steht auch nicht in dessen Belieben, ob es einen Erbschein verlangen will oder ihm die in § 35 Abs. 1 Satz 2 GBO genannten Beweismittel genügen. Vielmehr hat das Grundbuchamt selbständig zur Frage der Erb- wie der Nacherbfolge Stellung zu nehmen, gegebenenfalls auch den Willen des Erblassers durch Auslegung zu ermitteln und Zweifel durch Anwendung des Gesetzes auf die Verfügung zu lösen (Senat, a.a.O.). Es hat in diesem Rahmen auch gesetzliche Auslegungsregeln zu berücksichtigen, wenn das Nachlassgericht voraussichtlich darauf zurückgreifen müsste (OLG Schleswig FGPrax 2006, 248). Seine Pflicht zur Auslegung entfällt ...