Leitsatz (amtlich)

1. In Abschiebungshaftsachen ist § 172 ZPO anwendbar, wenn einem Rechtsanwalt umfassende Verfahrensvollmacht erteilt worden ist; diese gilt auch in dem Verlängerungsverfahren (wie OLG Schleswig v. 16.1.1996 - 2 W 9/96, NVwZ 1996, 1142). Ob dies zur Folge hat, dass einem anwaltlich vertretenen Betroffenen wirksam nach § 16 Abs. 3 FGG nur in Anwesenheit seines Bevollmächtigten zugestellt werden kann, bleibt offen.

2. Entscheidet ein örtlich unzuständiges Gericht über die Haftverlängerung, ist für die Frage, ob das Gericht bei einer zu bewirkenden Zustellung die Bevollmächtigung kennen muss, auch erheblich, ob die Akten des zuständigen Gerichts einen entsprechenden Nachweis enthalten.

 

Normenkette

AufenthG § 106 Abs. 2 S. 2; FreihEntzG § 4 Abs. 1; FGG §§ 7, 16 Abs. 3; ZPO § 172

 

Verfahrensgang

LG Memmingen (Beschluss vom 23.02.2006; Aktenzeichen 4 T 141/06)

AG Memmingen (Aktenzeichen XIV 35/05)

 

Tenor

Die sofortige weitere Beschwerde gegen den Beschluss des LG Memmingen vom 23.2.2006 wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I. Die Ausländerbehörde betrieb die Abschiebung des Betroffenen, der die togoische Staatsangehörigkeit besitzt.

Der Betroffene hatte für die Bundesrepublik Deutschland keine Aufenthaltserlaubnis. Ein Asylantrag und ein Asylfolgeantrag wurden bestandskräftig abgelehnt. Der Betroffene tauchte im September 1997 unter. Am 12.10.2005 wurde der Betroffene aus Belgien kommend am Flughafen München rücküberstellt.

Das AG E. hat am 13.10.2005 gegen den Betroffenen mit sofortiger Wirksamkeit Abschiebungshaft für die Dauer von längstens drei Monaten angeordnet. Rechtsmittel gegen die Haftanordnung blieben erfolglos (OLG München, Beschl. v. 29.11.2005 - 34 Wx 166/05; v. 10.1.2006 - 34 Wx 175/05).

Die Ausländerbehörde hat am 22.12.2005 beim AG M., in dessen Bezirk der Betroffene zu diesem Zeitpunkt inhaftiert war, beantragt, die Abschiebungshaft um weitere drei Monate zu verlängern. Dem hat das AG M. mit für sofort wirksam erklärtem Beschluss vom 11.1.2006 entsprochen. Der Betroffene wurde vom Richter darüber belehrt, dass gegen diesen Beschluss das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zulässig sei, dass die Beschwerde binnen einer Frist von zwei Wochen eingelegt werden müsse und dass sie mit der Bekanntmachung der Entscheidung, also mit dem heutigen Tage, zu laufen beginne. Weiter wurde ihm zu Protokoll erklärt, dass die Beschwerde sofort zu Protokoll des AG M. eingelegt werden könne oder aber schriftlich, wobei zu beachten sei, dass die schriftliche Beschwerde innerhalb der oben genannten Frist bei Gericht eingegangen sein müsse.

Auf die dem Betroffenen vom anwesenden Dolmetscher übersetzte Belehrung erklärte dieser, er habe sie verstanden. Nach Aushändigung einer Abschrift des Beschlusses hat der Betroffene zu Protokoll erklärt: "kein Rechtsmittel!".

Gegen den Haftanordnungsbeschluss hat der Betroffene über seinen anwaltlichen Bevollmächtigten am 26.1.2006 sofortige Beschwerde eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist beantragt. Gerügt hat der anwaltliche Bevollmächtigte insb., trotz seiner Vertretungsanzeige vom 28.11.2005 ggü. dem AG E. nicht von der Anhörung unterrichtet worden zu sein. Für den Fall der tatsächlichen Beendigung der Haft hat er das Rechtsmittel für erledigt erklärt und beantragt, der Ausländerbehörde die Verfahrenskosten aufzuerlegen.

Am 2.2.2006 wurde der Betroffene abgeschoben.

Das LG hat mit Beschluss vom 23.2.2006 den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist für die sofortige Beschwerde zurückgewiesen und die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des AG vom 11.1.2006 verworfen. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen.

II.1. Die sofortige weitere Beschwerde ist schon deshalb zulässig, weil das LG die sofortige Beschwerde als unzulässig verworfen hat (st. Rspr.; BGH v. 22.2.1989 - IVb ZB 209/87, MDR 1989, 620 = NJW 1989, 1860; Meyer-Holz in Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl., § 27 Rz. 10).

In der Sache überprüft der Senat auch die vom LG versagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist. Wird nämlich die Entscheidung über die Wiedereinsetzung mit der Beschlussfassung über die Beschwerde verbunden, so ist auf die statthafte sofortige weitere Beschwerde gegen diesen Beschluss die Entscheidung zur Wiedereinsetzung als Verfahrensfrage der Zulässigkeit der Erstbeschwerde vom Gericht der sofortigen weiteren Beschwerde ebenfalls nachzuprüfen, und zwar in tatsächlicher und rechtlicher Beziehung (BayObLGZ 1979, 251 [253]; OLG München, Beschl. v. 24.1.2006 - 34 Wx 008/06, OLGReport München 2006, 238).

2. Im Ergebnis hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.

a) Das LG hat ausgeführt:

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist könne nicht bewilligt werden. Allein der Umstand, dass das AG den Bevollmächtigten zunächst am Verfahren nicht beteiligt habe, rechtfertige noch nicht die Wiedereinsetzung. Denn es sei ...

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