Leitsatz (amtlich)
Die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses entfällt, wenn sich ein nach geltendem Recht unzweifelhaft zuständiges Gericht gleichwohl über seine Zuständigkeit hinwegsetzt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verweist, ohne sich mit den maßgeblichen zuständigkeitsbegründenden Voraussetzungen auseinanderzusetzen.
Normenkette
BGB §§ 823, 826; ZPO § 32
Verfahrensgang
LG München II (Aktenzeichen 13 O 4333/20) |
LG München II (Aktenzeichen 13 O 892/21) |
LG Deggendorf (Aktenzeichen 32 O 90/21) |
Tenor
1. Örtlich zuständig ist das Landgericht München II.
2. Dessen Beschluss vom 15. Februar 2021 wird aufgehoben.
Gründe
I. Mit seiner zum Landgericht München II (Az. zunächst: 13 O 4333/20) erhobenen Klage vom 28.10.2020 begehrt der im Bezirk dieses Landgerichts wohnhafte Kläger von der im Bezirk des Landgerichts Braunschweig ansässigen Beklagten Zahlung wegen Rückabwicklung eines Kaufvertrages über ein vom sogenannten Abgasskandal betroffenes Diesel-Fahrzeug. Das Fahrzeug hatte er am 3.7.2015 für 25.000 EUR bei einem im Bezirk des Landgerichts Deggendorf ansässigen Autohändler erworben und am 7.5.2018 für 7.550 EUR weiterverkauft.
Der Kläger führt im Wesentlichen aus, das von der Beklagten hergestellte Fahrzeug sei mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet worden, weshalb es nicht den in der Europäischen Union entsprechenden Rechtsvorschriften entsprochen habe. Hierauf habe jedoch der Kläger vertraut. Der Kläger hätte den Kaufvertrag nicht abgeschlossen, wenn er gewusst hätte, dass das Fahrzeug mit der unzulässigen Abschalteinrichtung nicht zulassungsfähig ist und durch das Update nicht in einen zulassungsfähigen Zustand versetzt werden kann. Die Beklagte habe durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs unter Verschweigen der gesetzwidrigen Softwareprogrammierung eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung begangen und zudem gegenüber dem Kläger den Tatbestand des Betrugs erfüllt, indem sie das Fahrzeug mit einer gesetzwidrig programmierten Motorsteuerungssoftware in den Verkehr gebracht und somit den Kläger über die Gesetzeskonformität des Fahrzeugs getäuscht habe. Die Organe der Beklagten hätten bereits 2006 Kenntnis von der Manipulation gehabt. Anspruchsgrundlagen seien u.a. § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB, § 826 BGB i.V.m. § 249 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB sowie § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 3 Abs. 3, 9 Abs. 1 EG-TypVO bzw. § 27 Abs. 1 EG-FGV gegeben.
Mit Verfügung vom 10.11.2020 hat das Landgericht München II die Durchführung eines schriftlichen Vorverfahrens angeordnet und darauf hingewiesen, dass es örtlich unzuständig sei. Begehungsort i.S.d. § 32 ZPO sei sowohl der Handlungsort als auch der Erfolgsort, also der Ort des Schadenseintritts. Es komme grundsätzlich nicht darauf an, wo der Verletzungserfolg und weitere Schadensfolgen eingetreten seien, denn der Schadensort finde keine Berücksichtigung. Das Schadensereignis sei durch den Abschluss des Kaufvertrages am Sitz des Händlers eingetreten. Daher sei das Landgericht Deggendorf gemäß § 32 ZPO oder alternativ das Landgericht Braunschweig gemäß §§ 12, 17 ZPO zuständig.
Nach Eingang der Klageerwiderung und einer Replik des Klägers wies das Landgericht München II mit Verfügung vom 1.2.2021 nochmals auf seine örtliche Unzuständigkeit hin, gewährte hierzu dem Kläger eine Stellungnahmefrist und fragte an, ob Verweisungsantrag gestellt werde.
Mit Schriftsatz vom 15.2.2021 führt der Kläger aus, dass sich die Zuständigkeit des Landgerichts München II aus § 32 ZPO ergebe, da ein Anspruch aus § 826 BGB geltend gemacht werde und die das Vermögen des Klägers schädigende Vermögensdisposition zum Teil durch Onlineüberweisung von heimischen PC aus stattgefunden habe. Nur hilfsweise beantragte er Verweisung an das Landgericht Deggendorf.
Mit Beschluss vom selben Tag hat sich das Landgericht München II für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Deggendorf verwiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, eine Zuständigkeit des Landgerichts München II ergebe sich nicht aus § 32 ZPO. Der Ansicht der Oberlandesgerichte Düsseldorf (Beschluss vom 30.10.2017, Az. 5 Sa 44/17) und Hamm (Beschluss vom 27.5.2019, Az. 32 SA 29/19) könne nicht gefolgt werden. Zwar sei es richtig, dass ausnahmsweise der Ort des Schadenseintritts dann Begehungsort i.S.d. § 32 ZPO sei, wenn der Schadenseintritt selbst zum Tatbestand der Rechtsverletzung gehöre. Dann sei Ort des Eintritts des Vermögensschadens der Begehungsort. Vorliegend sei der Vermögensschaden jedoch unumkehrbar bereits durch den Abschluss des Kaufvertrags und die dadurch eingetretene Verpflichtung zur Zahlung des Kaufpreises eingetreten. Ob der Kaufpreis später durch Barzahlung beim Verkäufer oder durch Überweisung am Wohnort des Käufers entrichtet werde, sei nicht mehr von Belang. Auch aus einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt aus dem Jahr 2007 und einer des Oberlandesgerichts Celle aus dem Jahr 2010 lasse sich nichts anderes entnehmen. Schließlich habe auch der Bundesgerichtsh...