Leitsatz (amtlich)
Wird in einer familienrechtlichen Angelegenheit Beratungshilfe zur Regelung von mehreren Trennungsfolgen und gleichzeitig für den Fall der Scheidung nebst Folgesachen bewilligt, so liegen für den die Beratungshilfe leistenden Rechtsanwalt mindestens zwei Angelegenheiten im Sinne des Beratungshilfegesetzes vor (teilweise Aufgabe von OLG München MDR, 1988 = JurBüro 1988, 593; NJW-RR 1999, 648 = AnwBl. 2000, 58; zuletzt Senatsbeschluss vom 19.12.2008 - 11 W 2318/08 - nicht veröffentlicht; im Anschluss an OLG Stuttgart, Beschluss vom 4.10.2006 - 8 W 360/06, FamRZ 2007, 574 = MDR 2007, 368).
Normenkette
BerHG § 2 Abs. 2; RVG § 15 Abs. 2, § 16 Nr. 4
Verfahrensgang
LG München I (Beschluss vom 20.07.2011) |
AG München (Aktenzeichen 338 UR II 42/10) |
Tenor
Die weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Die weitere Beschwerde der Staatskasse richtet sich gegen den Beschluss des LG München I vom 20.7.2011, durch den auf Beschwerde des Beratungshelfers die Vergütung einer vom AG bewilligten Beratungshilfe auf insgesamt 189,92 EUR festgesetzt wurde.
Auf die Sachdarstellung des LG wird Bezug genommen.
In dem angegriffenen Beschluss schließt sich das LG nach ausführlicher Darstellung der unterschiedlichen Auffassungen in der Rechtsprechung der OLG unter Abkehr von der bisher vom Senat vertretenen Auffassung (11 WF 1369/87 v. 4.12.1987; 11 WF 1093/97 vom 17.2.1998 und 11 W 2318/08 v. 19.12.2008) der Meinung des OLG Stuttgart an (FamRZ 2007, 574), wonach Regelungen für die Zeit der Trennung eine eigene Angelegenheit und die Scheidung mit den Folgesachen i.S.d. § 16 Nr. 4 RVG ebenfalls eine eigene Angelegenheit darstellen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die vom LG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache ausdrücklich zugelassene und mit Schreiben vom 5.9.2011 für die Staatskasse eingelegte weitere Beschwerde. Zur Begründung wird auf die bisherige Rechtsprechung des Senats Bezug genommen, wonach unabhängig von der Anzahl der Gegenstände sowie dem zeitlichem Umfang der Beratungshilfe in derartigen Fällen vom Beratungsanwalt immer nur eine Angelegenheit Trennung/Scheidung abgerechnet werden könne.
Nach Nichtabhilfe durch die Kammer wurden die Akten dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
II.1. Die weitere Beschwerde ist aufgrund ihrer Zulassung durch das LG München I in dem Beschluss vom 26.7.2011 statthaft, § 56 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 6 RVG. Sie ist auch zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben worden. Die am 6.9.2011 eingegangene Beschwerde gegen den am 26.7.2011 zur Zustellung expedierten Beschluss des LG ist rechtzeitig, da sich ein Nachweis über die förmliche Zustellung des landgerichtlichen Beschlusses an die Staatskasse in den Akten nicht findet. Diese wurde nach einem Vermerk der Rechtspflegerin erst am 22.8.2011 dem zuständigen Bezirksrevisor zugeleitet. Die 2-Wochenfrist gem. §§ 33 Abs. 6 Satz 4 i.V.m. Abs. 3 Satz 3 RVG ist somit gewahrt.
2. Die weitere Beschwerde ist jedoch unbegründet, da die angefochtene Entscheidung nicht auf einer Rechtsverletzung beruht, §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 6 Satz 2 RVG, 546 ZPO. Der Senat folgt unter teilweiser Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung der Auffassung des LG, dass bei Beratungshilfe, die für den Fall der Trennung mit einer Mehrzahl zu regelnder Rechtsbeziehungen und für den Fall der nachfolgenden Scheidung mit mehreren Folgesachen geleistet wird, insgesamt mindestens zwei verschiedene Angelegenheiten vorliegen.
a) Gemäß § 44 RVG erhält der Rechtsanwalt für die Tätigkeit im Rahmen der Beratungshilfe eine Vergütung nach § 2 Abs. 2 RVG i.V.m. Nr. 2500 bis 2508 RVG-VV. Voraussetzung ist die Erteilung eines Berechtigungsscheins außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens in bestimmten Angelegenheiten, § 2 Abs. 2 BerHG. Damit ist dieser Begriff die Basis des Vergütungsanspruchs des Beratungshilfeanwalts, da er pro Angelegenheit die Pauschalgebühr von 70 EUR lediglich einmal erhält, ohne dass es im Prinzip auf den zeitlichen Umfang der Tätigkeit oder die Anzahl der Rechtsverhältnisse ankommt, in denen Rechtsrat erteilt wird.
b) Zur Auslegung und Bestimmung des Umfangs einer Angelegenheit in familienrechtlichen Beratungsverhältnissen wird ein breites Spektrum an Lösungsvorschlägen in der Rechtsprechung der OLG vertreten (s. dazu Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 19. Aufl., § 16 Rz. 29 ff.). Dabei hat der Senat bisher die Auffassung vertreten, dass unabhängig von der Anzahl der Gegenstände Trennung und Scheidung immer einen einheitlichen innerlich zusammengehörigen Lebenssachverhalt bilden, dem ein einheitlicher Auftrag zugrunde liegt und der deshalb einen einheitlichen Rahmen der Tätigkeit des Anwalts vorgibt. Diese Auffassung des Senats war gestützt auf die Regelungen der Angelegenheit in § 15 Abs. 2 RVG und der Regelung des "Gegenstandes" der anwaltlichen Tätigkeit in § 22 Abs. 1 RVG (s. Senat vom 19.12.2008 - 11 W 2318/08; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 18. Aufl., § 16 Rz. 18 und 25 und OLG München MDR 1988, 330; ebenso OLG Nürnberg MDR 2004...