Leitsatz (amtlich)
Wird ein Beratungshilfeschein für die Angelegenheiten "Trennung, Scheidung und Folgesachen" erteilt, sind bei einer anschließenden umfassenden Beratung durch einen Rechtsanwalt die vier Komplexe - Scheidung als solche, - das persönliche Verhältnis zu den Kindern (Personensorge, Umgangsrecht), - Fragen im Zusammenhang mit Ehewohnung und Hausrat, - finanzielle Auswirkungen von Trennung und Scheidung (Unterhaltsansprüche, Güterrecht, Vermögensauseinandersetzung) jeweils als gesonderte gebührenrechtliche Angelegenheiten zu behandeln, so dass die Beratungsgebühr für insgesamt bis zu vier Angelegenheiten geltend gemacht werden kann. (im Anschluss an OLG Nürnberg NJW 2011, 3108 und OLG Celle NJW 2011, 3109; Aufgabe von OLG Stuttgart FamRZ 2007, 574)
Normenkette
RVG § 44 Abs. 1 S. 1, § 15 Abs. 2, § 16 Nr. 4
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Beschluss vom 29.11.2011; Aktenzeichen 19 T 245/11) |
AG Kirchheim/Teck (Beschluss vom 18.07.2011; Aktenzeichen 4 AR 123/11) |
Tenor
1. Auf die weitere Beschwerde des Beteiligten Nr. 2 wird unter Abänderung der Beschlüsse der 19. Zivilkammer des LG Stuttgart vom 29.11.2011 (19 T 245/11) und des AG Kirchheim/Teck vom 18.7.2011 (4 AR 123/11) die Vergütungsfestsetzung der Urkundsbeamtin des AG Kirchheim/Teck - Beratungshilfe - vom 7.6.2011 (BHG 76/11) in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 17.8.2011 dahingehend abgeändert, dass die dem Beteiligten Nr. 2 aus der Landeskasse zu zahlende Beratungshilfevergütung auf insgesamt 142,80 EUR festgesetzt wird.
2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I. Die Beteiligte Nr. 1 erhielt am 17.3.2011 vom AG KirchheimTeck einen Beratungsschein für rechtliche Beratung in den Angelegenheiten "Trennung, Scheidung und Folgesachen". Nach anwaltlicher Beratung durch den Beteiligten Nr. 2 beantragte dieser beim AG die Festsetzung von Beratungshilfegebühren i.H.v. insgesamt 142,80 EUR und zwar jeweils i.H.v. 30 EUR zzgl. 5,70 EUR MWSt für die Beratung über Trennung, Trennungsfolgen, Scheidung, Scheidungsfolgen.
Die Urkundsbeamtin setzte mit Beschluss vom 7.6.2011 die Vergütung auf insgesamt 71,40 EUR fest und begründete dies damit, dass der Beteiligte Nr. 2 lediglich in zwei verschiedenen Angelegenheiten - Trennung und Trennungsfolgen sowie Scheidung und Scheidungsfolgen - beratend tätig gewesen sei.
Dagegen wandte sich der Beteiligte Nr. 2 mit der Erinnerung, die der zuständige Richter des AG unter Zulassung der Beschwerde zurückgewiesen hat.
In seiner dagegen eingelegten Beschwerde wies der Beteiligte Nr. 2 darauf hin, dass sich seine Erstberatung umfassend auch auf die Komplexe Scheidung, elterliche Sorge/Umgang mit den Kindern, Ehewohnung und Hausrat sowie finanzielle Auswirkung vom Trennung und Scheidung erstreckt habe. Die Bezirksrevisorin ist der Beschwerde entgegen getreten.
Die Beschwerdekammer hat die Beschwerde unter Hinweis auf die bisherige Rechtsprechung des Senats (Beschl. v. 4.10.2006 - 8 W 360/06, FamRZ 2007, 574; Die Justiz 2007, 187) zurückgewiesen, wonach für die Beratungshilfe in einer Familiensache Regelungen für die Zeit der Trennung einerseits und die Scheidung mit den Folgesachen i.S.d. § 16 Nr. 4 RVG andererseits jeweils eine Angelegenheit darstellten, und wegen grundsätzlicher Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage die weitere Beschwerde zugelassen.
Der weiteren Beschwerde des Beteiligten Nr. 2 hat das Beschwerdegericht nicht abgeholfen und die Akten dem OLG Stuttgart zur Entscheidung vorgelegt.
II.1. Die weitere Beschwerde ist statthaft, frist- und formgerecht eingelegt und damit zulässig (§§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 6, Abs. 3 S. 2 und 3 RVG). Aufgrund der Zulassung der weiteren Beschwerde durch das Beschwerdegericht kommt es auf einen bestimmten Wert des Beschwerdegegenstandes nicht an. Die Beschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht (§ 33 Abs. 6 S. 2 i.V.m. §§ 546, 547 ZPO).
2. In der Sache ist die Beschwerde begründet. Dem Beteiligten Nr. 2 steht eine Vergütung i.H.v. insgesamt 142,80 EUR zu, weil er in insgesamt vier Angelegenheiten tätig geworden ist.
Das Beratungshilfegesetz sieht Beratung in "Angelegenheiten" vor (§§ 2 Abs. 2, 6 BerHG). Gemäß § 44 RVG erhält der Rechtsanwalt für die Tätigkeit im Rahmen der Beratungshilfe außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens eine Vergütung nach § 2 Abs. 2 RVG i.V.m. Nrn 2500 bis 2508 RVG-VV. Da es sich bei der Beratungshilfe-Vergütung um Festgebühren handelt und das Korrektiv des Gegenstandswerts fehlt, kommt dem Begriff der "Angelegenheit" besondere Bedeutung zu. Eine nähere Bestimmung dieses Begriffs findet sich im Beratungshilfegesetz nicht, wohl aber in den §§ 15 ff. RVG (vgl. dazu Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 6. Aufl., Rz. 1012). Das BVerfG hat in seiner Entscheidung vom 31.10 2001 (AGS 2002, 273) ausgeführt, dass der Begriff der Angelegenheit wegen der ohnehin niedrigen Gebühren des Rechts...