Leitsatz (amtlich)
1. Einem Nachlassverzeichnis, das auf den falschen oder unklaren Stichtag erstellt ist, kommt grundsätzlich keine Erfüllungswirkung zu. Der Auskunftsanspruch des Pflichtteilsberechtigten besteht in diesen Fällen fort.
2. Wird der bedürftigen Partei Prozesskostenhilfe für die Stufenklage gewährt, umfasst die Bewilligung sogleich alle Stufen. Eine Beschränkung der Bewilligung auf die Auskunftsstufe würde der bedürftigen Partei den Zugang zur Stufenklage verwehren.
3. Die Bewilligung ist der Höhe nach jedoch begrenzt aus den sich aus der Auskunftsstufe ergebenden Zahlungsanspruch (Anschluss an OLG München BeckRS 2010, 25801 und OLG Brandenburg BeckRS 2021, 19057).
Normenkette
BGB § 2314 Abs. 1; ZPO §§ 114, 254
Verfahrensgang
LG Augsburg (Aktenzeichen 025 O 506/20) |
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin werden die Beschlüsse des Landgerichts Augsburg vom 18.05.2021 und 02.06.2021, Az. 025 O 506/20, aufgehoben.
2. Der Klägerin wird mit Wirkung ab 16.10.2020 Prozesskostenhilfe für die erste Instanz für die gesamte Stufenklage gewährt. Rechtsanwältin R. wird der Klägerin beigeordnet.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Mit Klageschrift vom 28.01.2020 macht die Klägerin Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche im Wege der Stufenklage geltend. Eine Entscheidung in der Sache ist bisher nicht ergangen.
Mit Schriftsatz vom 15.10.2020, eingegangen am 16.10.2020 (Bl. 84/85, Bd. I) hat die Klägerin die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt.
Das Erstgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 18.05.2021 (Bl. 241/242, Bd. II) abgelehnt, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung in der ersten Stufe unzulässig, jedenfalls unbegründet sei. Über die Gewährung von Prozesskostenhilfe für die weiteren Stufen der Klage sei erst zu entscheiden, wenn die Klägerin zu diesen Stufen übergehen wolle.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 01.06.2021 (Bl. 246/249, Bd. II). Das Erstgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 02.06.2021 (Bl. 251/252, Bd. II) nicht abgeholfen. Die Beklagte hat sich zur sofortigen Beschwerde mit Schriftsatz vom 19.07.2021 (Bl. 266/268, Bd. II) geäußert.
II. Die zulässige sofortige Beschwerde ist begründet.
1. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig, § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO.
Das bisher vorgelegte Vermögensverzeichnis (Anlage K1) steht der Klage auf Auskunft nicht entgegen.
Liegt ein (notarielles) Nachlassverzeichnis vor, so kann der Pflichtteilsberechtigte jedoch grundsätzlich nicht dessen Berichtigung oder Ergänzung verlangen. Vielmehr ist er in diesem Fall, soweit die Voraussetzungen des § 260 Abs. 2 BGB vorliegen, auf den Weg der eidesstattlichen Versicherung verwiesen. Von diesem Grundsatz sind allerdings verschiedene Ausnahmen anerkannt. So kann ein Anspruch auf Ergänzung bzw. Berichtigung eines Nachlassverzeichnisses bestehen, wenn in diesem eine unbestimmte Mehrheit von Nachlassgegenständen - etwa aufgrund eines Rechtsirrtums des Auskunftspflichtigen - nicht aufgeführt ist, wenn Angaben über den fiktiven Nachlass oder Schenkungen fehlen, wenn die Auskunft zwar dem Wissensstand des Verpflichteten entspricht, dieser sich jedoch fremdes Wissen trotz Zumutbarkeit nicht verschafft hat oder wenn sich ein Notar auf die Wiedergabe der Bekundungen des Erben ohne eigene Ermittlungstätigkeit beschränkt (BGH, Urteil vom 20. Mai 2020 - IV ZR 193/19, juris Rn. 10).
Hier bezieht sich das Nachlassverzeichnis in weiten Teilen auf den Stichtag 02.06.2018, bei den übrigen Positionen ist der angesetzte Stichtag unklar. Damit ist das Nachlassverzeichnis zur Berechnung des Pflichtteils nicht brauchbar, denn maßgeblich ist nach § 2311 BGB der Todestag des Erblassers, hier der 09.06.2018. Das Nachlassverzeichnis hat daher keine Erfüllungswirkung, der Auskunftsanspruch ist nicht erloschen.
Hinzu kommt, dass die Angaben zum beweglichen Aktivvermögen kein Verzeichnis beinhalten, da lediglich zusammenfassende Begriffe benannt werden, jedoch die erforderliche Benennung der Einzelpositionen mit den wertbildenden Faktoren unterblieben ist (vgl. Krätzschel in: Firsching/Graf, Nachlassrecht, 11. Auflage 2019, § 17 Rn. 27; BeckOGK/Blum/Heuser, BGB, 15.6.2021, § 2314 Rn. 7-7.1). Es fehlt somit ein Verzeichnis, auf das sich die eidesstattliche Versicherung beziehen könnte. Das im Nachlassverzeichnis erwähnte Inventar liegt hier nicht vor.
Auch soweit das Nachlassverzeichnis lediglich Schätzungen zum Bankvermögen, zum Bargeld und zu den Erbfallschulden enthält, ist es unvollständig.
Damit ist der eingeklagte Auskunftsanspruch nicht erloschen. Seiner Geltendmachung fehlt auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis.
2. Gemäß der vorgelegten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse kann die Klägerin die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen, so dass ihr Prozesskostenhilfe ohne Raten ab Antragstellung für den ersten Rechtszug zu bewilligen war, §§ 114 Abs. 1 S. 1, 115 ZPO. Re...