Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadenersatzanspruch aufgrund des Erwerbs von Aktien: Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf ein Kapitalanleger-Musterverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Hätte eine Gesellschaft bei früherer Testatsverweigerung auch früher Insolvenz angemeldet, hätte sich ein durchschnittlicher Anleger nicht mehr beteiligt. (Rn. 9)
2. In einem Aussetzungsverfahren ergeht keine Kostenentscheidung. (Rn. 13)
Normenkette
AktG § 400; BGB § 823 Abs. 2, § 826; KapMuG § 8 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LG München I (Beschluss vom 02.06.2022; Aktenzeichen 27 O 6642/21) |
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde des Beklagten zu 1) gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 02.06.2022, Az. 27 O 6642/21, wird zurückgewiesen.
2. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3017,41 EUR festgesetzt.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Mit am 15.10.2021 erhobener Klage begehrt der Kläger Schadensersatz aufgrund des Erwerbes von Aktien der W. AG. Die erhobene Klage wendet sich dabei gegen die Beklagten zu 1) und 2) als ehemalige Vorstandsmitglieder der W. AG, welche nach den Behauptungen des Klägers ein finanzielles Eigeninteresse an etwaigen Bilanz- und Marktmanipulationen gehabt haben sollen.
Der Beklagte zu 1) trat der Klage entgegen und führte, soweit für das Beschwerdeverfahren relevant, aus, dass eine Kausalität etwaiger Handlungen des Beklagten zu 1) zu dem Kauf der Aktien durch den Kläger nicht einmal vorgetragen sei, die Kaufentscheidung des Klägers wurzelt vielmehr in seiner Risikobereitschaft und Spekulation. Auf eine etwaige Vermutung könne sich die Klagepartei ebenfalls nicht berufen.
Das Landgericht München I setzte nach vorheriger Anhörung mit Beschluss vom 02.06.2022 das Verfahren gegen den Beklagten zu 1) im Hinblick auf das Kapitalanleger-Musterverfahren vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht, Az.: 101 KAP 1/22, aus. Dieser Beschluss wurde dem Beschwerdeführer am 07.06.2022 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 17.06.2022, eingegangen am selben Tag, legt der Beklagte zu 1) gegen diesen Beschluss Beschwerde ein und führt aus, dass die Voraussetzungen einer Aussetzung nach § 8 Abs. 1 KapMuG nicht gegeben seien, vielmehr sei die erhobene Klage bereits aus anderen Gründen entscheidungsreif. Der Kläger könne sich auf eine etwaige Vermutung nicht berufen, da der Aktienkurs nach einer Veröffentlichung eines Berichts der KPMG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft am 27.04.2020 erheblich gefallen war und der Kläger erst nach diesem Zeitpunkt die streitgegenständliche Anlage getätigt hat.
Das Landgericht München I half dieser Beschwerde mit Beschluss vom 23.06.2022 nicht ab und legte das Verfahren dem OLG München zur Entscheidung vor.
II. Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg, das Landgericht München I hat das Verfahren zu Recht ausgesetzt.
1. Die Voraussetzungen einer Aussetzung nach § 8 Abs. 1 S. 1 KapMuG sind im Hinblick auf den Beklagten zu 1) gegeben, auf die zutreffenden Ausführungen des Erstgerichtes sowie eine Vielzahl von Aussetzungsbeschlüssen des OLG München, vgl. z.B. Beschluss vom 18.05.2022, Az.: 3 U 8736/21, wird vollumfänglich Bezug genommen. Am 16.03.2022 wurde im elektronischen Bundesanzeiger der Vorlagebeschluss des Landgerichts München I - 3. Zivilkammer - vom 14.03.2022, Gz. 3 OH 2767/22 KapMuG, veröffentlicht. In diesem ist im Rubrum auch der hiesige Beklagte zu 1) enthalten.
Die in dem Vorlagebeschluss unter A.I. als Feststellungsziele zur angeblichen Tathandlung der W. AG angeführten angeblichen Unrichtigkeiten der Geschäftsberichte der W. AG entsprechen - wenn auch mit z.T. anderen Formulierungen - in der Sache weitestgehend denjenigen, die auch die hiesige Klagepartei unter Vorlage des KPMG-Berichts und des Wambach-Berichts mit zahlreichen Beweisangeboten (u.a. Zeugen und Sachverständigengutachten) geltend macht.
Auch die Feststellungsziele zum Vorsatz des hiesigen Beklagten zu 1) unter A.I. Nr. 6 bis 7 des Vorlagebeschlusses entsprechen weitestgehend dem hiesigen beweisbewehrten Klagevorbringen. Gleiches gilt für die im Rahmen des Anspruchs nach § 823 Abs. 2 BGB iVm § 400 AktG und § 826 BGB zu klärenden Fragen der Schutzgesetzeigenschaft (A II 4 a)), der Kenntnis des Beklagten zu 1) hiervon und dessen rechtswidrige und schuldhafte Handlung (A II 4 b) und A II 6), respektive der Sittenwidrigkeit seines Handelns gemäß § 826 BGB (A II 9).
2. Soweit sich der Beklagte zu 1) insbesondere gegen die Vermutung einer Kausalität aufgrund des Zeitpunktes des Kaufs durch die Klagepartei wendet, ist dazu Folgendes auszuführen: Der Senat geht davon aus, dass jedenfalls beim Kauf von Aktien grundsätzlich ein sich aus der allgemeinen Lebenserfahrung ergebender Erfahrungssatz dafür spricht, dass die Anleger die Aktien in Kenntnis der verschwiegenen Machenschaften nicht gekauft hätten (OLG München, Urteil vom 11.11.2021 - 8 U 5670/21, BeckRS 2021, 34699). Soweit die Beschwerde auf die Rechtsprechung des BGH in Sachen "Comroad" (BGH NZG 2007, 708) abstellt, vermag dies nicht zu ü...