Leitsatz (amtlich)
Ansprüche auf Kaufpreiszahlung aus Verkauf und Abtretung von Gesellschaftsanteilen bilden keine Rechtsstreitigkeit aus dem (aufgelösten) Rechtsverhältnis zwischen Mitgliedern einer Handelsgesellschaft. Ein Verweisungsbeschluss der allgemeinen Zivilkammer an die Kammer für Handelssachen, der dies anders beurteilt, ist deswegen aber nicht in jedem Fall ohne Bindungswirkung.
Normenkette
GVG § 95 Abs. 1 Nr. 4a, § 102; ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6, § 281
Verfahrensgang
LG Kempten (Aktenzeichen 31 O 1308/13 (2)) |
LG Kempten (Aktenzeichen 1 HK O 1308/13) |
Tenor
Funktionell zuständig ist die Kammer für Handelssachen.
Gründe
I. Die zum LG Kempten (Allgäu) - allgemeine Zivilkammer - erhobene Klage im Urkundenprozess betrifft eine Forderung aus der Verpflichtung des Beklagten, an einer Gesellschaft (GmbH) den Geschäftsanteil des Klägers i.H.v. nominal 6.400 EUR für 325.000 EUR zu erwerben. Auf Antrag der Beklagten und nach Anhörung des Klägers - dieser stimmte nicht zu (Schriftsatz vom 16.8.2013, Bl. 11) - hat sich die Zivilkammer mit Beschluss vom 24.9.2013 für funktionell unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an die Kammer für Handelssachen verwiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, die Streitigkeit betreffe Ansprüche aus dem Rechtsverhältnis unter Gesellschaftern; einschlägig sei § 95 Abs. 1 Nr. 4a GVG. Es komme nicht zwangläufig darauf an, dass das Verfahren seine Grundlage im Gesellschaftsvertrag selbst finde, es genüge, wenn Aspekte einflössen, die auf gesellschaftsspezifischen Rechten und Pflichten beruhten.
Die Kammer für Handelssachen hat am 5.11.2013 die Übernahme abgelehnt. Die Ansprüche resultierten aus einem Anteilsverkauf. Gesellschaftsrechtliche oder -spezifische Fragen spielten keine Rolle. Die Entscheidung der Zivilkammer sei überdies nicht bindend, weil wegen fehlender Anhörung der Klägerseite gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verstoßen worden sei. Diese Entscheidung wurde den Parteien formlos mitgeteilt.
Mit Beschluss vom 6.11.2013 hat sich die Zivilkammer (erneut) für funktionell unzuständig erklärt und das OLG zur Bestimmung der gerichtlichen Zuständigkeit (§ 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO analog) angerufen.
II. Zuständig ist die Kammer für Handelssachen; der Verweisungsbeschluss der Zivilkammer vom 24.9.2013 bindet (s. § 102 Satz 2 GVG); daraus folgt, dass die Kammer für Handelssachen ihre (funktionelle) Zuständigkeit nicht leugnen kann.
1. Das OLG München ist entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zur Bestimmung des zuständigen Spruchkörpers innerhalb des LG Kempten (Allgäu) berufen. Denn auf Streitigkeiten über die funktionelle Zuständigkeit zwischen einer Zivilkammer und einer Kammer für Handelssachen ist die genannte Vorschrift entsprechend anzuwenden (OLG München vom 25.7.2012, 34 AR 196/12, bei juris; vom 28.8.2012, 34 AR 316/12; KG NJW-RR 2008, 1023; Zöller/Vollkommer ZPO, 30. Aufl. 36 Rz. 29; Zöller/Lückemann § 102 GVG Rz. 3 m.w.N.). Von beiden Kammern liegen zuständigkeitsleugnende, den Parteien bekannt gegebene Beschlüsse vor. Dies erfüllt die Voraussetzungen für die gerichtliche Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO (Zöller/Vollkommer § 36 Rz. 24).
2. Verweisungsbeschlüsse sind nach dem Willen des Gesetzgebers unanfechtbar (§ 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO) und bindend (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO). Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Verweisungsbeschluss aber dann ausnahmsweise nicht bindend, wenn ihm jegliche Rechtsgrundlage fehlt und er sich, jedenfalls in objektiver Hinsicht, als willkürlich erweist (BGH NJW 1993, 1273; Zöller/Greger § 281 Rz. 17 m.w.N.). Dabei ist die zu § 281 ZPO ergangene Rechtsprechung im Wesentlichen auch auf Verweisungen nach § 97 ff. GVG anzuwenden (Zöller/Lückemann § 102 Rz. 6 m.w.N.). Eine anerkannte Fallgruppe unstreitig nicht eintretender Bindungswirkung ist diejenige der Versagung des rechtlichen Gehörs (Zöller/Greger § 281 Rz. 17a m.w.N.; auch Zöller/Lückemann § 102 Rz. 6). Das rechtliche Gehör erfordert es, dass das Gericht den Verfahrensbeteiligten vor der Entscheidung über die Verweisung Gelegenheit zur Stellungnahme gibt. Fehlt es hieran, kommt dem Verweisungsbeschluss im Bestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO keine Bindungswirkung zu. Auf eine Kausalitätsfeststellung kommt es nicht an (s. BGHZ 71, 69/73; 102, 338/341).
Die Verfahrensweise der Zivilkammer genügt ersichtlich den Anforderungen an die Gewährung rechtlichen Gehörs. Die Klägerseite hatte zweiwöchige Gelegenheit zur Stellungnahme auf den Verweisungsantrag vom 7.8.2013 (Bl. 9/10 d.A.) und hiervon mit Schriftsatz vom 16.8.2013 (Bl. 11) auch Gebrauch gemacht. Der Rechtsansicht des Klägers, es liege keine Handelssache vor, brauchte die Zivilkammer in diesem Zusammenhang nicht zu folgen.
3. Als Handelssache gelten (u.a.) Streitigkeiten, die einen Anspruch aus dem Rechtsverhältnis zwischen den (ehemaligen) Mitgliedern einer Handelsgesellschaft und der Gesellschaft zum Gegenstand haben. Die herrschende Meinung geht von einer weiten Auslegung des § 95 Abs. 1 Nr. 4a GVG aus (Zöller/Lücke...