Entscheidungsstichwort (Thema)
Zustellung eines gerichtlichen Schriftstücks
Verfahrensgang
LG München I (Beschluss vom 03.04.2002; Aktenzeichen 29 O 16704/01) |
Tenor
Gemäß Art. 1, 2 Nr. 2, 3 Abs. 2 des Protokolls betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 27.9.1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch den Gerichtshof vom 3.6.1971 i.d.F. des 4. Beitrittsübereinkommens zum EuGVÜ vom 29.11.1996 (Frage 1) und gem. Art. 234 EG (Frage 2) werden dem EuGH folgende Auslegungsfragen vorgelegt:
1. Sind Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ vom 27.9.1968 i.d.F. des 4. Beitrittsübereinkommens vom 29.11.1996 i.V.m. Art. IV Abs. 1 des Protokolls zum EuGVÜ vom 27.9.1968 i.d.F. des 4. Beitrittsübereinkommens vom 29.11.1996 dahin gehend auszulegen, dass eine Zustellung eines gerichtlichen Schriftstücks an einen Beklagten, der im Zeitpunkt der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks seinen Wohnsitz in einem anderen Vertragsstaat als dem Gerichtsstaat hat, nur nach den zwischen den Vertragsstaaten geltenden Übereinkommen durchzuführen ist?
2. Falls die Frage 1 verneint wird: Ist Art. 12 EG dahin gehend auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die eine Zustellung eines gerichtlichen Schriftstücks an einen im Zeitpunkt der Zustellung in einem anderen Mitgliedstaat wohnenden Beklagten wie eine fiktive Inlandszustellung behandelt, indem der Gerichtsvollzieher des Gerichts das verfahrenseinleitende Schriftstück bei der Staatsanwaltschaft niedergelegt und die Staatsanwaltschaft die Schriftstücke zur Übermittlung auf vertraglichem oder diplomatischem Wege weiterleitet und der Gerichtsvollzieher die ausländische Partei durch Einschreibebrief gegen Rückschein von der erfolgten Zustellung benachrichtigt?
Gründe
I. Auf Antrag der Antragstellerin hat der Vorsitzende der 29. Zivilkammer des LG München I mit Beschluss vom 3.4.2002 angeordnet, das am 8.9.2000 erlassene Urteil des Appellationsgerichtshofs von Amiens/Frankreich, Az. Rg 99/1068, durch das eine S.R. KG zur Zahlung von 615.566,72 FF zzgl. Zinsen und Kosten verurteilt worden ist, mit der Vollstreckungsklausel zu versehen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die Antragstellerin die formellen Voraussetzungen für die Erteilung der Vollstreckungsklausel durch Vorlage der nach Art. 46 Nr. 1, 47 Nr. 1 EuGVÜ erforderlichen Urkunden erfüllt habe und ein Anerkennungshindernis nach Art. 27, 28 EuGVÜ nicht ersichtlich sei.
Die daraufhin am 10.4.2002 von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle erteilte Vollstreckungsklausel wurde am 15.4.2002 zusammen mit dem angefochtenen Beschluss der Antragsgegnerin zugestellt.
Am 14.5.2002 hat die Antragsgegnerin Beschwerde beim OLG München eingelegt.
Zur Begründung ihrer Beschwerde trägt sie vor, dass das verfahrenseinleitende Schriftstück ihr nicht ordnungsgemäß zugestellt worden sei. Die Antragsgegnerin habe sich in Frankreich weder auf das erstinstanzliche noch auf das Berufungsverfahren eingelassen. Bei der Entscheidung sowohl des erstinstanzlichen Gerichts als auch derjenigen des Berufungsgerichts handele es sich daher um eine Versäumnisentscheidung. Die Klageschrift sollte ihr durch formlose Übergabe mittels eines deutschen Rechtspflegers übergeben werden. Sie habe die Annahme jedoch verweigert, weil die Klageschrift nur in französischer Sprache abgefasst war, eine Übersetzung nicht beilag und sie in der Klageschrift nicht eindeutig als Partei identifizierbar gewesen sei. Denn als Beklagte sei eine "La SOCIETE R. GmbH und Co" aufgeführt. Im Anschluss daran sei ihr die Klageschrift auf dem Postwege wiederum ohne Übersetzung übersandt worden. Die Zustellung sei daher fehlerhaft gewesen, weil sie nicht den Vorschriften des Haager Zustellungsübereinkommens vom 15.11.1965 (HZÜ) entsprochen habe. Auch scheide eine wirksame Zustellung nach anderen Vorschriften aus. Auch eine wirksame Zustellung der Berufungsschrift der Antragstellerin liege nicht vor, weil auch diese nur auf dem Postwege ohne Übersetzung übersandt worden sei. Hierbei habe es sich zudem nicht um das verfahrenseinleitende Schriftstück gehandelt. Eine Heilung der Zustellmängel komme nicht in Betracht. Diese Möglichkeit beurteile sich nach dem vorrangig anzuwendenden HZÜ, das jedoch keine Heilungsmöglichkeit vorsehe. Damit liege ein Anerkennungshindernis gem. Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ vor.
Die Antragsgegnerin beantragt, den Beschluss des LG München I vom 10.4.2002 aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin auf Vollstreckbarerklärung des Urteils des Appellationsgerichts von Amiens/Frankreich vom 8.9.2000, Rg. 99/1068 zurückzuweisen.
Die Antragstellerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie meint, auf das Verfahren sei die seit dem 1.3.2002 anwendbare EuGVVO, die gem. Art. 68 EuGVVO das EuGVÜ verdränge, anzuwenden. Aber auch ein Anerkennungshindernis nach Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ liege nicht vor. Zwar habe sich die Antragsgegnerin auf das französische Verfahren nicht eingelassen. Die Zustellung sei jed...