Entscheidungsstichwort (Thema)
Endurteil, Berührung, Egzpo, Insasse, Schadensersatz, Prozentpunkte, Zinsanspruch, Unfallgeschehen, Berufung der Klägerin, Oberlandesgericht, Verfahrensfehler, VRR, Beifahrer, unterbliebene Anhörung, persönlichen Erscheinens, Fahrzeug, Parteianhörung, Erholung, Verkehrsunfall, grundsätzliche Bedeutung
Normenkette
ZPO § 141 Abs. 1, § 313a Abs. 1 S. 1, § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 540 Abs. 2; EGZPO § 26 Nr. 8
Verfahrensgang
LG Kempten (Urteil vom 03.02.2016; Aktenzeichen 11 O 1999/15) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin vom 03.03.2016 wird das Endurteil des LG Kempten vom 03.02.2016 (Az. 11 O 1999/15), soweit nicht die Klage wegen der 5 Prozentpunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz übersteigenden Zinsansprüche abgewiesen wurde, samt dem ihm zugrundeliegenden Verfahren aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG Kempten zurückverwiesen.
2. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem LG Kempten vorbehalten.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313a I 1 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO).
B. Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache jedenfalls vorläufig Erfolg.
I. Das LG hat nicht frei von Verfahrensfehlern einen Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz verneint, weil es die Klägerin nicht zum Unfallgeschehen angehört hat. Die persönliche Anhörung (§ 141 I 1 ZPO) der Klägerin war vorliegend aus Sicht des Senats nicht entbehrlich. Streitig war, ob es zu einer Berührung der Fahrzeuge kam, die Klägerin behauptete dies, die Beklagte stellte eine solche unter Berufung auf die vorhandenen Stellungnahmen der Insassen ihres Fahrzeuges in Abrede. In Fällen, bei denen ein Unfallbeteiligter Zeugen (z.B. Beifahrer) hat, ist die Anhörung des anderen Unfallbeteiligten oder Gelegenheit zur Stellungnahme für die anwesende Partei nach § 137 IV ZPO (BVerfG NJW 2008, 2170; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 32. Aufl. 2011, § 448 Rz. 4) oder die Anhörung beider Parteien geboten, OLG Schleswig OLGR 2008, 314 = NJW-RR 2008, 1525 = MDR 2008, 684 (nur Ls.) = NZV 2009, 79; Senat, Urt. v. 13.02.2009 - 10 U 5411/08 (Juris = VRR 2009, 163 - Kurzwiedergabe); v. 05.02.2010 - 10 U 4091/09 (Juris) v. 13.11.2015, Az. 10 U 2226/15 OLG Frankfurt a.M. NJW-RR 2010, 1689 = NZV 2010, 623 (Juris, dort Rz. 18). Die Klägerin erschien zum Termin nicht, weil ihr ohne Angabe von Gründen mitgeteilt wurde, dass von der Anordnung ihres persönlichen Erscheinens bewusst abgesehen wurde (Bl. 24 d.A.) Die Begründung im Urteil, die Anordnung des persönlichen Erscheinens sei unterblieben, weil der Unfall mit Ausnahme der Berührung unstreitig sei, trägt die unterbliebene Anhörung vorliegend nicht. Für den Unfall gibt es keine "neutralen" Zeugen. Die Klägerin hatte für ihre Behauptung einer Berührung anders als die Beklagte keine Zeugen (Fahrerin und Insassen). Die Klägerin hat auch behauptet, mit einem Gutachten könne geklärt werden, dass die an ihrem Fahrzeug noch vorhandenen Lackspuren von einem Bundeswehrfahrzeug Mercedes-Benz Wolf stammten und die Erholung eines Sachverständigengutachtens beantragt. Es lässt sich den Akten auch nicht entnehmen, dass seitens der Klägerin eine Einlassung erfolgen würde, die unglaubhaft oder technisch nicht möglich wäre. Daher wäre die Anhörung der Klägerin im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Parteianhörung in Fällen, in denen der Ablauf eines Verkehrsunfalls streitig ist (BGH NJW 2013, 2601 [2602 [10, 11]; OLG Schleswig NJW-RR 2008, 1525 Senat, Urt. v. 09.10.2009 - 10 U 2309/09 [juris, dort Rz. 23]) vorliegend zwingend geboten gewesen.
II. Der Senat hat eine eigene Sachentscheidung nach § 538 I ZPO erwogen, sich aber - entgegen seiner sonstigen Praxis - aus folgenden Gründen dagegen entschieden:
1. Eine (erheblich) mangelhafte Beweiserhebung stellt einen Zurückweisungsgrund nach § 538 II 1 Nr. 1 ZPO dar (BGH NJW 1957, 714; OLG Köln VersR 1977, 577; 1997, 712; Senat, Urt. v. 14.7.2006 - 10 U 5624/05 (juris Rz. 33), st. Rspr., zuletzt etwa NJW 2011, 396 [398] und Urt. v.. 20.2.2015 - 10 U 1722/14 [juris Rz. 35]; OLG Bremen OLGR 2009, 352; OLG Hamm NJW 2014, 78 [83]; OLG Zweibrücken OLGR 2000, 221; OLG Köln NJW 2004, 521; OLG Bremen OLGR 2009, 352). Ein schwerwiegender Verfahrensfehler des erstinstanzlichen Gerichts kann darin liegen, dass es die Pflicht zur Beiziehung von Verkehrsunfallakten und zur persönlichen Anhörung der Unfallbeteiligten in Verkehrsunfallsachen verletzt hat (OLG Schleswig NJW-RR 2008, 1525; Senat, Urt. v. 9.10.2009 - 10 U 2309/09 [juris Rz. 23]). Hinzu kommt, dass die Beklagte 4 Zeugen benannt hat, dass es nicht zu einer Kollision gekommen sei (Klageerwiderung S. 2 = Bl. 12 d.A.; Berufungserwiderung S. 3 = Bl. 66 d.A.) und die Klägerin ihrerseits Beweis durch Sachverständigengutachten dafür angeboten hat, dass an ihrem ...