Leitsatz (amtlich)
1. Besteht bei einer Operation ein erhebliches Risiko, dass die Krankheit nach dem Eingriff wieder ausbricht (hier: Befall des bislang gesunden Darmabschnitts mit Colitis ulcerosa nach Entfernen des erkranken Darmabschnitts), ist der Patient hierüber aufzuklären.
2. Zur Plausibilität eines ernsthaften Entscheidungskonflikts des Patienten bei massivem Leidensdruck und erheblichen Nachteilen und Risiken der Behandlungsalternativen
Normenkette
BGB §§ 823, 847 a.F.
Verfahrensgang
LG Passau (Urteil vom 17.11.2005; Aktenzeichen 3 O 410/02) |
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG P. vom 17.11.2005 wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger verlangt von den Beklagten Schmerzensgeld im Zusammenhang mit einer im Jahr 1995 durchgeführten Darmoperation. Er macht geltend, die Operation sei medizinisch nicht indiziert gewesen, außerdem sei er vor dem Eingriff nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden.
Der Kläger leidet seit 1979/1980 an einer colitis ulcerosa (Entzündung des Dickdarms). Ab 1990 war er im Klinikum P. beim Beklagten zu 1), dem damaligen Leiter der Abteilung Innere Medizin, in Behandlung. Trotz der Einnahme cortisonhaltiger Medikamente kam es wiederholt zu Krankheitsschüben, die u.a. erhebliche Schmerzen sowie schleimig-blutige Durchfälle verursachten. Durch die langjährige Gabe von Cortison hatte der Kläger zudem eine Stereoidabhängigkeit und als Folgeerkrankung einen Stereoidkatarakt (Grauen Star) entwickelt. Am 24.11.1994 wurde im Klinikum P. eine Coloskopie beim Kläger durchgeführt, bei der im Darm eine ausgeprägte entzündliche Schleimhautveränderung mit Geschwüren und Pseudopolypenbildung festgestellt wurde. Nach der Untersuchung wies der Beklagte zu 1) den Kläger darauf hin, dass maligne Veränderungen endoskopisch nicht auszuschließen seien. Da der Beklagte zu 1) aufgrund des langjährigen Verlaufs eine Sanierung der Erkrankung durch eine die Kontinenz erhaltende totale Kolektomie für diskussionswürdig hielt, empfahl er dem Kläger eine Besprechung mit einem Arzt der Chirurgischen Abteilung. Am 3.4.1995 begab sich der Kläger in die zum damaligen Zeitpunkt vom Beklagten zu 2) geleitete Chirurgische Abteilung des Klinikums P., in der am 4.4.1995 eine Enddarmspiegelung (Rektoskopie) durchgeführt wurde. Hierbei zeigte sich, dass nur ein Teil des Darmes von der Krankheit befallen war. 12 cm des Mastdarmes sowie das rechte Kolon waren entzündungsfrei. Am 6.4.1995 unterzeichnete der Kläger ein Aufklärungsformular, in dem Risiken der geplanten Operation genannt waren. Am 7.4.1995 operierte der Beklagte zu 3) den Kläger und entfernte den von der colitis ulcerosa betroffenen Darmabschnitt (Hemicolectomie links mit Transversorektostomie). Der Eingriff verlief komplikationsfrei. Die histologische Untersuchung des entfernten Gewebes ergab keinen Anhalt für eine Krebserkrankung. Im Juni 1995 zeigten sich am verbliebenen Teil des Darmes wieder die Symptome einer colitis ulcerosa. Der Kläger ist mittlerweile in England in Behandlung und benötigt keine cortisonhaltigen Medikamente mehr.
Der Kläger hat in 1. Instanz vorgetragen, die Operation sei nicht indiziert gewesen, da weder ein Verdacht auf eine Krebserkrankung des befallenen Darmabschnitts bestanden habe, noch sonstige Komplikationen eine Operation erforderlich gemacht hätten. Die Krankheit sei medikamentös beherrschbar gewesen. Entweder hätte man von der Operation absehen und ihn weiter konservativ behandeln müssen. Oder man hätte den gesamten Darm entfernen müssen, um einer Entzündung des noch nicht befallenen Teils vorzubeugen. Gerade die Teilentfernung des Darmes habe dazu geführt, dass anschließend der gesunde Darmabschnitt erkrankt sei, weswegen der Kläger nunmehr mit einem stark erhöhten Krebsrisiko leben müsse. Zudem sei er nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden. Sowohl der Beklagte zu 1) als auch der Beklagte zu 2) hätten ihm zur Operation geraten, ohne ihn darüber zu informieren, dass sich bei einer Teilentfernung die Gefahr eines Befalls des verbleibenden Darmabschnitts erhöhe. Keiner der Beklagten hätte ihn außerdem über mögliche Behandlungsalternativen aufgeklärt. Den Beklagten zu 3) kenne er nicht, von ihm habe er auch keine Aufklärung erhalten. Der Kläger habe der Operation in der Vorstellung zugestimmt, dass er danach geheilt sei, nicht um ein etwaiges Krebsrisiko auszuschließen. Nun gehe es ihm schlechter als vor der Operation. Angesichts des gestiegenen Krebsrisikos und der Folgen für sein berufliches und soziales Leben sei ein Schmerzensgeld von mindestens 255.645 EUR angemessen.
Der Kläger hat beantragt, Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, mindeste...