Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum anwendbaren Recht nach der Rom II-VO bei einem Verkehrsunfall in Österreich
Normenkette
Rom II-VO Art. 4 Abs. 2; Rom-II-VO Art. 17; StVG § 7 Abs. 1; BGB § 823 Abs. 1; VVG § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; StVO § 3 Abs. 1 S. 1, § 3 S. 2, § 2 Abs. 2, § 20 Abs. 1 S. 1; EGZPO § 26 Nr. 8
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 12.05.2016; Aktenzeichen 19 O 10058/14) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten vom 01.06.2016 wird das Endurteil des LG München I vom 12.05.2016 (Az. 19 O 10058/14) abgeändert und wie folgt neu gefasst:
I. Die Beklagten werden verurteilt, samtverbindlich an den Kläger weitere 1.863,54 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 03.06.2014 sowie weitere vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 157,80 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 03.06.2014 zu bezahlen. Der Beklagte zu 1) wird darüber hinaus verurteilt, an den Kläger Zinsen aus 2.021,34 EUR in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz für die Zeit vom 01.06.2014 bis zum 02.06.2014 zu bezahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Rechtsstreits (erster Instanz) tragen der Kläger 82 % und die Beklagten samtverbindlich 18 %.
2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Von einer Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313a I 1 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO).
I. B. Die statthafte, sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache teilweise, nämlich ungefähr zur Hälfte, Erfolg.
1.) Die Klägerin hat gegen die Beklagten Anspruch auf samtverbindliche Zahlung von 1.863,54 EUR aus §§ 7 I StVG, 823 I BGB, 115 I 1 Nr. 1, 4 VVG.
Dabei gilt im Wesentlichen das, worauf der Senat bereits mit Verfügung vom 22.08.2016 hingewiesen hat (vgl. insb. Bl. 146-151 d.A.):
a) Zur Haftung dem Grunde nach:
Soweit im Ersturteil festgestellt wird, dem Beklagten zu 1) sei, anders als dem Kläger, eine Überschreitung der angesichts der Witterungsverhältnisse angemessenen Geschwindigkeit zur Last zu legen, woraus, bei im Übrigen gleichwertigen Haftungsbeiträgen, eine überwiegende Haftung der Beklagten folge, nämlich von 2/3 zu 1/3, ist dies nicht zu beanstanden.
Im Einzelnen:
aa) Gem. Art. 4 II VO (EG) 864/2007 ("Rom II") ist, nachdem der Unfallort zwar in Österreich liegt, beide Parteien ihren gewöhnlichen Aufenthalt jedoch in Deutschland hatten (und haben), hier grundsätzlich deutsches Recht anwendbar. Gem. Art 17 VO (EG) 864/2007 ist jedoch bzgl. der Verkehrsvorschriften die österreichische StVO zu berücksichtigen. Dies hat das Erstgericht auch getan, dabei allerdings die entscheidende Norm nicht genannt, nämlich § 20 I 1 StVO (Österreich). Diese (§ 3 I S. 1 und 2 der deutschen StVO stark ähnelnde) Vorschrift hat folgenden Wortlaut: "Der Lenker eines Fahrzeuges hat die Fahrgeschwindigkeit den gegebenen oder durch Straßenverkehrszeichen angekündigten Umständen, insbesondere den Straßen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen, sowie den Eigenschaften von Fahrzeug und Ladung anzupassen."
bb) Dass insbesondere bei vereister Fahrbahn (wie hier) diesem Umstand Rechnung zu tragen ist und dass der Fahrer die Fahrbahn genau beobachten muss, um entsprechend reagieren zu können, entspricht der österreichischen Rechtsprechung zu § 20 I 1 StVO (Österreich); vgl. z.B. das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 22.07.2004, Geschäftszahl: 13R152/04g; https://www ... gv. at. Wörtlich wird in dieser Entscheidung insb. Folgendes ausgeführt: "Nach dem erstgerichtlichen Sachverhalt war zwar für den Kläger nicht erkennbar, dass die Fahrbahn in Annäherung zur gegenständlichen P-brücke etwas glatt war. Allerdings konnte der Kläger aufgrund des Reifs sehr wohl erkennen, dass im Brückenbereich selbst eine besondere Glätte herrschte. Nach § 20 StVO hat der Lenker eines Fahrzeuges die Fahrgeschwindigkeit den gegebenen Umständen, insbesondere den Straßenverhältnissen anzupassen. Ergibt sich aufgrund der Witterungsverhältnisse eine vereiste Fahrbahn, so ist auch diesem Umstand entsprechend Rechnung zu tragen (Messiner, StVO Anm 4 zu § 20). Ein Kraftfahrer hat die für ihn nicht eindeutig als unbedenklich erkennbare Straßenbeschaffenheit im ungünstigsten Sinn auszulegen und seine Geschwindigkeit zu verringern (ZVR 1966/52). Bei einer sichtbaren Reifbildung muss jeder Autofahrer damit rechnen, dass die Fahrbahn auf Brücken glatt ist und seine Geschwindigkeit auf diese Möglichkeit einrichten (vgl. ZVR 1976/223). Jeder Kraftfahrer muss mit Änderung der Beschaffenheit der Fahrbahndecke rechnen. Er kann sich nicht darauf verlassen, dass er auf eine solche Änderung durch Warnungstafeln aufmerksam gemacht wird bzw. dass die Fahrbahn ständig die gleiche Beschaffenheit aufweist. Er muss dah...