Entscheidungsstichwort (Thema)
Abschalteinrichtung, Verbotsirrtum, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Differenzschaden, Erstinstanzlicher Vortrag, Schriftsätze, Sittenwidrigkeit, Übereinstimmungsbescheinigung, Rechtsmißbrauch, Unzulässigkeit, Verkehrserforderliche Sorgfalt, EG-FGV, Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, Berufungserwiderung, Annahmeverzug, Basiszinssatz, Fahrzeuge, Wertminderung, Berufungsrücknahme
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 26.11.2020; Aktenzeichen 20 O 6294/20) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts München I vom 26.11.2020, Az. 20 O 6294/20, abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 7.287,81 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 17.11.2018 zu bezahlen. Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte 10% zu tragen, die Klägerin trägt 90%.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Die Parteien streiten um Schadensersatz, zuletzt nurmehr in der Form des Differenzschadens, wegen der behaupteten Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug.
Die vorsteuerabzugsberechtigte Klägerin erwarb am 25.06.2015 bei der M. A. GmbH den streitgegenständlichen, von der Beklagten hergestellten Audi Q7 3.0 TDI quattro, FIN: ...03 als Neufahrzeug zum Preis von brutto 86.725 EUR (netto 72.878,15 EUR). Das Fahrzeug wies im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht einen Kilometerstand von 91.179 km und am 05.03.2024 eine Laufleistung von 125.568 km auf.
In dem Fahrzeug ist ein von der Beklagten hergestellte V6-TDI Dieselmotor der Baureihe EA 897 mit 200 kw Leistung verbaut. Das Fahrzeug soll der Schadstoffklasse EU 6 entsprechen. Die Abgasreinigung des streitgegenständlichen Fahrzeugs findet durch eine Kombination aus einer innermotorischen Abgasrückführung und einer nachgelagerten Abgasreinigung durch SCR-Katalysator mit Einspritzung von ADBlue statt. Die Beklagte ist Inhaberin der Typengenehmigung für Fahrzeuge der entsprechenden Baureihe und erteilte für das streitgegenständliche Fahrzeug eine Übereinstimmungsbescheinigung.
Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ordnete unter der Kennziffer 23X6 für das Fahrzeug einen verbindlichen Rückruf an, wobei zwischen den Parteien zuletzt unstreitig ist (Schriftsatz der Klägerin vom 09.01.2024, dort S. 4 = Bl. 153 d.A.), dass dieser Rückruf erfolgte, weil ein Sensor bei dem AdBlue System nicht oder nicht mit hinreichender Genauigkeit erkannte, wenn sich in dem AdBlue Tank nicht die zur Stickoxidreduktion erforderliche Harnstofflösung, sondern eine andere Reagens (etwa Wasser) befindet. Die zur Behebung dieser Beanstandung erforderliche Neukalibrierung des Sensors durch ein Softwareupdate wurde bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug vorgenommen.
Vorgerichtlich wurde die Beklagte durch Anwaltsschreiben der jetzigen Prozessvertreter der Klägerin vom 02.11.2018 aufgefordert, die Schadensersatzpflicht dem Grunde nach anzuerkennen.
Die Klägerin behauptete, der Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei von dem Abgasskandal vergleichbar betroffen, wie die Motoren der Baureihe EA 189. Das Fahrzeug erkenne, ob es sich auf dem Prüfstand befinde. Die EU 6 - Werte würden nur auf dem Prüfstand eingehalten und im Normalbetrieb um ein Vielfaches überschritten. Das Fahrzeug wechsle zwischen einem auf Abgasreduktion ausgerichteten Modus im Prüfstand zu einem nicht auf Abgasreduktion ausgerichteten Modus im Normalbetrieb. Das vom KBA geforderte Softwareupdate habe nur zu "unvollkommenen Ergebnissen" geführt (Klageschrift vom 20.05.2020, dort S. 6). Mit Schriftsatz vom 29.10.2020 führt die Klägerin aus, in dem Fahrzeug sei ein unzulässiges Thermofenster verbaut. Dieses führe dazu, dass die Abgasreinigung jedenfalls bei Temperaturen ab und unter 5° C signifikant reduziert sei, wenn nicht sogar die Abgasreinigung bei Temperaturen außerhalb von 17° C bis 30° C abgeschaltet werde (Bl. 75 d.A.).
Die Klägerin beantragte in erster Instanz:
1. Die Beklagte wird verurteilt, Zug-um-Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs der Marke Audi mit der Fahrgestellnummer ...203 an die Klagepartei EUR 73.592,36 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 77.532,15 Euro seit dem 17.11.2018 zu bezahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs gemäß vorstehender Ziffer 1 in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, der Klagepartei die Kosten des außergerichtlichen Vorgehens in Höhe von 2.085,95 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.11.2018 zu erstatten.
Die Beklagte beantragte
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte führte aus, es bestehe kein Rückrufbescheid des KBA wegen einer Abschalteinrichtung. In dem Fahrzeug sei keine Umschaltlogik verbaut. Der Vortrag der Klägerin zu einem Vorsatz der A. AG sei u...