Leitsatz (amtlich)
1. Offenbart ein Arzt, der zufällig am Unglücksort anwesend ist und einem Unfallopfer Erste Hilfe leistet, seinen Beruf, lässt dies noch nicht den Rückschluss auf den Abschluss eines Behandlungsvertrages mit dem Unfallopfer oder anwesenden Angehörigen zu.
2. Dem Arzt kommt in dieser Situation - ebenso wie jedem Dritten - das Haftungsprivileg des § 680 BGB zugute. Die im Arzthaftungsrecht entwickelten Grundsätze zur Beweislastumkehr bei groben Behandlungs- oder Diagnosefehlern finden keine Anwendung.
Verfahrensgang
LG T. (Urteil vom 08.06.2005; Aktenzeichen 3 O 667/03) |
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LG T. vom 8.6.2005 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die am 3.5.1999 geborene Klägerin fordert vom Beklagten Schmerzensgeld und Feststellung der Schadensersatzpflicht wegen behaupteter fehlerhafter Behandlung nach einem Ertrinkungsunfall.
Am 24.3.2001 gegen 11.30 h hielt sich die damals knapp zweijährige Klägerin im Anwesen ihrer Eltern in der S.-straße 41 in B. auf und spielte im gemeinsamen Hofraum des elterlichen Hauses und des Nachbaranwesens der Familie Sch. Der nicht eingezäunte Hofraum liegt ca. 50 Meter vom Ufer des Chiemsees entfernt am oberen Ende einer leicht abschüssigen Wiese. Der See hatte an diesem Tag einen erhöhten Wasserspiegel, so dass ein Teil der Wiese unter Wasser stand. Die Wassertemperatur betrug 8 Grad Celsius. Gegen 11.50 h bemerkte die Mutter der Klägerin, dass die Klägerin verschwunden war. Gemeinsam machten sich die Mutter und die Großtante der Klägerin, die Zeugin Sch., auf die Suche nach dem Kind. Um ca.12 Uhr fand die Großtante die Klägerin bewusstlos etwa 3 Meter vom Ufer entfernt mit dem Gesicht unter Wasser im Chiemsee treiben. Sie holte die Klägerin aus dem Wasser und rief um Hilfe. Der Beklagte, ein niedergelassener Gynäkologe, der sich zufällig in der Nähe bei seinem Boot aufhielt, bemerkte die Hilferufe und eilte hinzu. Er gab sich als Arzt zu erkennen und untersuchte die Klägerin. Er hielt deren Kopf schräg nach unten und strich den Oberkörper von unten nach oben aus, worauf hin Wasser aus dem Mund und orangefarbener Schaum aus der Nase der Klägerin herauslief. Der Beklagte entfernte Schaum aus der Nase des Kindes, fühlte mehrfach den Puls und die Temperatur und schaute in die Pupillen, die weit und starr waren. Die stark unterkühlte Klägerin atmete nicht, sie hatte keinen tastbaren Puls mehr und fühlte sich an, "wie eine kalte Wachspuppe". Aufgrund des Zustandes der Klägerin glaubte der Beklagte, die Klägerin sei tot. Er teilte dies den anwesenden Angehörigen und Nachbarn mit und unternahm keine weitere Reanimation.
Die Klägerin wurde daraufhin von ihrer Mutter ins Haus getragen. Um 12.10 h trafen von Nachbarn um 12.02 h alarmierte Mitarbeiter der Wasserwacht ein. Sie führten Wiederbelebungsversuche bei der Klägerin durch, ohne dass diese das Bewusstsein wiedererlangte oder das Herz wieder zu schlagen begann. Erst dem Notarzt, der gegen 12.16 h vor Ort eintraft, gelang es durch Gabe von Suprarenin, eine Herzaktion bei der Klägerin auszulösen. Anschließend wurde die intubierte und beatmete, komatöse Klägerin mit dem Hubschrauber in das Kreiskrankenhaus T. gebracht. Die im Krankenhaus gemessene Körpertemperatur der Klägerin betrug 28,8 Grad Celsius. Etwa 14 Tage nach dem Vorfall erwachte sie nach intensivmedizinischer Versorgung aus dem Koma. Infolge des Sauerstoffmangels hat sie einen hypoxischen Hirnschaden erlitten. Sie ist bis heute stark behindert und pflegebedürftig, leidet insb. an einer schweren Tetraspastik, Schmerzzuständen und Sehstörungen.
Ein gegen den Beklagten eingeleitetes Ermittlungsverfahren wegen unterlassener Hilfeleistung wurde von der Staatsanwaltschaft T. mit Beschluss vom 12.12.2001 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt (Az. 201 Js 16016/01).
Die Klägerin hat in 1. Instanz vorgetragen, ihre Mutter habe sie noch um 11.47 h gesehen. Sie habe allenfalls wenige Minuten im Wasser gelegen, bevor man sie gefunden habe. Hätte der Beklagte die Klägerin bis zum Eintreffen der Wasserwacht reanimiert, wäre der Unfall für die Klägerin folgenlos geblieben; zumindest habe sich ihr Gesundheitszustand durch die unterlassene Reanimation exponentiell verschlechtert. Der Beklagte sei im Rahmen eines konkludent geschlossenen Behandlungsvertrages tätig geworden. Er trage die Beweislast dafür, dass die Gesundheitsschäden der Klägerin nicht Folge der fehlerhaften Behandlung seien. Denn seine gesamte Vorgehensweise sei grob fehlerhaft gewesen. Er habe einen groben Diagnosefehler begangen, da er Reanimationsmaßnahmen unterlassen habe, obwohl er ohne sichere Todeszeichen und ohne klinische Untersuchung den Tod der ...