Leitsatz (amtlich)
Schadensersatz, Behandlungsfehler, Rente, Bescheid, Arzt, Berufung, Erinnerung, Haftpflichtversicherung, Schmerzen, Ersatzpflicht, Ablehnung, Feststellung, Behandlungsvertrag, Untersuchung, grober Behandlungsfehler, Zulassung der Revision, Beginn und Ende
Verfahrensgang
LG Kempten (Entscheidung vom 29.11.2018; Aktenzeichen 22 O 1901/16) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 29.11.2018, Az. 22 O 1901/16, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin macht gegen den beklagten Frauenarzt Ansprüche auf Schmerzensgeld und Schadensersatz wegen behaupteter ärztlicher Behandlungsfehler geltend.
Die 1970 geborene Klägerin, die selbständige Fotografin und Dekorateurin ist, ließ sich im August 2011 in D., wo sie sich berufsbedingt aufhielt, aufgrund von Beschwerden in der Frauenarztpraxis Dres. S./S.-F. untersuchen. Im Rahmen der Untersuchung wurde ein großes Uterusmyom festgestellt, eine Krebsfrüherkennungsuntersuchung mittels Abstrich von der portio vaginalis uteri durchgeführt und die Klägerin in das F.-N.-Krankenhaus in D. eingewiesen, wo sie am 11.08.2011 stationär aufgenommen und am 15.08.2011 das Uterusmyom operativ entfernt wurde. Nach der Entlassung am 19.08.2011 stellte sie sich erneut bei den Frauenärzten Dres. S./S.-F. vor. Die Auswertung des in der Frauenarztpraxis Dres. S./S.-F. genommenen Abstrichs ergab den Befund Pap II.
Am 25.04.2012 begab sich die im Allgäu lebende Klägerin erstmals in Behandlung in die Frauenarztpraxis des Beklagten in K. Unstreitig sollte der Beklagte eine Kontrolle hinsichtlich der Myom-OP in D. durchführen. Ob die Klägerin außerdem eine Krebsfrüherkennungsuntersuchung wünschte, ist zwischen den Parteien ebenso streitig wie die Frage, ob sie weitere Beschwerden in Form eines übelriechenden Ausflusses aus der Scheide angab. Unstreitig führte der Beklagte eine Sonographie zur Kontrolle der Myom-OP durch, aber keine Krebsfrüherkennung. Insbesondere wurde am 25.04.2012 kein Abstrich genommen, was der Klägerin auch bewusst war.
Am 10.04.2013 stellte sich die Klägerin für eine Routineuntersuchung erneut beim Beklagten vor. Ein an diesem Tag genommener zytologischer Abstrich ergab einen Befund Pap V. Die weitere Abklärung ergab, dass die Klägerin an einem Plattenepithelkarzinom der Zervixschleimhaut erkrankt war. In der Folge musste sich die Klägerin mehreren schwerwiegenden operativen Eingriffen unterziehen, u. a. einer 8-stündigen Operation am 02.05.2013 in der Universitätsklinik U., in deren Rahmen die Gebärmutter mit den Eileitern beidseits sowie 52 Lymphknoten im gesamten Beckenbereich entfernt und eine Blasenteilresektion mit Neuimplantation beider Harnleiter durchgeführt wurde. Es folgten eine Strahlentherapie und Chemotherapie sowie weitere Behandlungen und Therapien, die noch andauern.
Mit Klageschrift vom 30.11.2016 erhob die Klägerin Klage gegen den Beklagten auf Verurteilung zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von mindestens 80.000,00 EUR sowie auf Ersatz materieller Schäden (Verdienstausfall, Haushaltsführungsschaden) in Vergangenheit und Zukunft sowie die Feststellung der Ersatzpflicht weiterer materieller und immaterieller Schäden mit folgenden Vorwürfen:
- Der Beklagte habe es versäumt, am 25.04.2012 eine Krebsfrüherkennung durchzuführen, obwohl sie dies ausdrücklich gewünscht habe.
- Der Beklagte habe es versäumt, sie am 25.04.2012 darauf hinzuweisen, dass sie sich spätestens im August 2012 (also ein Jahr nach der Untersuchung in D.) für eine erneute Krebsfrüherkennungsuntersuchung bei ihm vorstellen solle.
- Der Beklagte habe es am 25.04.2012 versäumt, weitergehende Diagnostik hinsichtlich der von ihr angegebenen weiteren Beschwerden (nämlich übel riechender gelblicher Ausfluss und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr) zu betreiben.
Sowohl bei einer Krebsfrüherkennungsuntersuchung als auch im Rahmen der aufgrund des Ausflusses gebotenen diagnostischen Maßnahmen wäre das sich entwickelnde Karzinom nach Auffassung der Klägerin mit überwiegender Wahrscheinlichkeit entdeckt worden.
Das Landgericht hat die Klägerin und den Beklagten informatorisch angehört und die Arzthelferin des Beklagten, die Zeugin S., vernommen. Es hat ferner ein schriftliches Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. T. vom 13.11.2017 nebst zwei Ergänzungsgutachten vom 19.02.2018 und 23.07.2018 eingeholt.
Mit dem angegriffenen Urteil vom 29.11.2018 hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe den Beweis nicht geführt,...