Entscheidungsstichwort (Thema)
Schmerzensgeldbemessung
Leitsatz (amtlich)
Zur Haftungsquotierung bei einem Unfall in der Konstellation "Linksabbieger gegen Überholer", wenn als einziger Verkehrsverstoß eine Verletzung der zweiten Rückschaupflicht (§ 9 Abs. 1 Satz 4 Halbsatz 1 StVO) durch den Linksabbieger feststeht (hier: kein Zurücktreten der Betriebsgefahr des Überholers).
Normenkette
BGB § 253 Abs. 2; StVG §§ 2, 17 Abs. 1; StVO § 5 Abs. 3 Nr. 1, § 9 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Augsburg (Urteil vom 16.12.2020; Aktenzeichen 012 O 3493/16) |
Tenor
I. Auf die Berufungen des Klägers und der Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts Augsburg vom 16.12.2020, Az. 012 O 3493/16, abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger über die bereits geleisteten 70.000,00 EUR hinaus ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 90.000,00 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz seit dem 28.10.2017 zu bezahlen.
2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 24.820,96 EUR zu bezahlen, nebst Zinsen aus 12.004,42 EUR seit dem 28.10.2017 sowie aus 12.816,54 EUR seit dem 07.02.2020.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche künftigen materiellen und sämtliche künftigen nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden, die dem Kläger aus dem streitgegenständlichen Unfall noch entstehen werden, zu 80% zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehenden Berufungen des Klägers und der Beklagten werden zurückgewiesen.
III. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits und der Nebenintervention des erstinstanzlichen Verfahrens zu je 62%. Die Beklagten tragen als Gesamtschuldner die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens zu 38%. Die Nebenintervenientin trägt die Kosten der Nebenintervention aus dem erstinstanzlichen Verfahren zu 38%.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits und der Nebenintervention in der Berufungsinstanz zu je 56%. Die Beklagten tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Berufungsverfahrens zu 44%. Die Nebenintervenientin trägt die Kosten der Nebenintervention aus dem Berufungsverfahren zu 44%.
IV. Dieses Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung durch die jeweils andere Partei oder die Nebenintervenientin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei oder die Nebenintervenientin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger begehrt aufgrund eines Verkehrsunfalls materiellen und immateriellen Schadensersatz sowie die Feststellung, dass die Beklagten verpflichtet seien, ihm weitere künftige materielle und immaterielle Schäden zu ersetzen.
Der Beklagte zu 1) befuhr am 25.04.2015 gegen 15:45 Uhr mit einem landwirtschaftlichen Gespann, bestehend aus dem bei der Beklagten zu 2) versicherten Traktor ... mit dem amtlichen Kennzeichen ... und dem bei der Nebenintervenientin versicherten Anhänger mit dem amtlichen Kennzeichen ...5, auf dem sich eine Güllepumpe befand, die Staatsstraße 2047 von A. in Richtung M. Auf dem Beifahrersitz des Traktors befand sich die Zeugin R. Unmittelbar hinter dem Beklagten zu 1) fuhr der Zeuge W. mit einem Pkw, hinter welchem wiederum der Kläger mit seinem Motorrad Honda, amtliches Kennzeichen ..., fuhr.
Auf Höhe des Abschnitts 700 - km 1.900 bog der Beklagte zu 1) nach links zu einer Biogasanlage ab, während der Kläger bereits dabei war, den Zeugen W. und das vom Beklagten zu 1) gefahrene Gespann zu überholen. Infolgedessen kollidierte das vom Kläger gefahrene Motorrad mit dem linken Rad des Anhängers des vom Beklagten zu 1) gesteuerten Gespanns, wodurch der Kläger schwere Verletzungen erlitt, die zu einer dauerhaften Minderung der Erwerbsfähigkeit von 80% führten (vgl. Seiten 3 f. des landgerichtlichen Urteils, Bl. 261 f. d.A.); das Motorrad hatte infolge des Unfalls einen Totalschaden.
Mit Urteil vom 16.12.2020 (Bl. 259/269 d.A.), den Bevollmächtigten sämtlicher Beteiligter zugestellt am 23.12.2020, hat das Landgericht Augsburg dem Kläger auf der Grundlage einer vollständigen gesamtschuldnerischen Einstandspflicht der Beklagten folgende Positionen zugesprochen (zuletzt im landgerichtlichen Verfahren gestellte Klageanträge s. Bl. 208 d.A.):
- Schmerzensgeld in Höhe von "weiteren 105.000 EUR", wobei unberücksichtigt blieb, dass die Beklagte zu 2) zuvor nicht nur 20.000 EUR, sondern weitere 50.000 EUR, insgesamt also 70.000 EUR Schmerzensgeld bezahlt hatte (Nr. 1 des Tenors; vgl. Klageantrag 1);
- noch nicht bezahlte Schäden am Motorrad, Gutachterkosten, An- und Abmeldekosten, Rechtsanwaltsgebühren und Auslagenpauschale in Höhe von 3.041,91 E...