Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatz nach Verkehrsunfall: Schmerzensgeldanspruch eines Motorradfahrers für unfallbedingte Dauerschäden unter Berücksichtigung einer bestehenden Multiplen Sklerose
Normenkette
BGB § 253 Abs. 2; StVG § 11 S. 2; ZPO § 286
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 08.03.2012; Aktenzeichen 19 O 864/09) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers vom 5.4.2012 wird das Endurteil des LG München I vom 8.3.2012 (Az. 19 O 864/09) in Nrn. I. und II. abgeändert und wie folgt neu gefasst:
I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 80.000,- EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.12.2006 zu bezahlen.
II. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 1.900,- EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 506,70 EUR seit 8.5.2009 sowie aus weiteren 850,96 EUR seit dem 30.7.2010 und aus weiteren 542,34 EUR seit dem 28.6.2011 zu bezahlen.
2. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen und wird die Klage abgewiesen.
3. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 28 % und die Beklagte 72 %.
Der Antrag des Klägers, die Kosten für die Erholung der Gutachten durch die Sachverständigen Dr. K. und Prof. Dr. L. niederzuschlagen, wird zurückgewiesen.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Der Beklagten steht eine entsprechende Abwendungsbefugnis zu.
6. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Der Kläger macht gegen die Beklagte weitere Ansprüche auf Schmerzensgeld sowie Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall am 27.10.2005, bei dem der Kläger als Motorradfahrer schwer verletzt wurde, geltend.
Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach ist unstreitig.
Der Kläger erlitt unstreitig eine Gelenkfraktur des 4. Brustwirbels rechts, einen instabilen Berstungsbruch des 5. Brustwirbels, einen oberen Berstungsbruch des 6. Brustwirbels, einen Abrissbruch des Querfortsatzes des 7. Brustwirbels, eine Lungenkontusion links, eine diskrete Plexusläsion links sowie Schürfwunden und Prellmarken im Gesicht und an weiteren unteren Extremitäten mit einem diskreten Gelenkerguss rechts.
Beim Kläger besteht unstreitig unfallbedingt eine vermehrte Krümmung der Brustwirbelsäule, eine Steifheit der Bewegungssegmente TH 3/4 bis TH 6/7, eine eingeschränkte Beweglichkeit der Wirbelsäule, eine Belastungsminderung der Wirbelsäule, ein chronisches Schmerzsyndrom, eine breite kosmetisch störende Narbe am Rücken und am linken Beckenkamm, ein noch leicht abgehobenes Schulterblatt sowie eine Einschränkung der aktiven Beweglichkeit der rechten Schulter.
Auf neurologischem Fachgebiet erlitt der Kläger unfallbedingt einen Endstellenstagmus beidseitig, eine rechtsbetonte, diskrete Unsicherheit bei Finger-Nasen-Versuchen beidseits sowie eine rechtsbetonte Dysdiadochokinese, einen Verlust der Bauchhautreflexe, eine Stand- und Gangstörung im Sinne einer Ataxie, eine mäßige Verkürzung des Vibrationsempfindens links am Innenknöchel sowie eine organisch-psychische Störung mit Beeinträchtigung des Auffassungsvermögens und der Umstellungsfähigkeit, Zeitgitterstörungen und eine Beeinträchtigung der Grundstimmung des affektiven Verhaltens.
Hinsichtlich des weiteren Parteivortrags und der tatsächlichen Feststellungen erster Instanz wird im Übrigen auf das angefochtene Urteil vom 8.3.2012 (Bl. 229/238 d.A.) Bezug genommen (§ 540 I 1 Nr. 1 ZPO).
Das LG München I hat nach Beweisaufnahme, insbesondere der Einholung weiterer Sachverständigengutachten auf neurologischem und orthopädischem Fachgebiet die Beklagte verurteilt, an den Kläger ein weiteres Schmerzensgeld von 60.000,- EUR und weitere materielle Schadensersatzbeträge von insgesamt 603,60 EUR zu bezahlen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Hinsichtlich des vom Kläger über das außergerichtlich gezahlte Schmerzensgeld von 40.000,- EUR noch weiter geforderte Schmerzensgeld i.H.v. 110.000,- EUR hielt das Erstgericht ein weiteres Schmerzensgeld von noch 60.000,- EUR deshalb für angemessen und ausreichend, weil der Kläger zur Überzeugung des Gerichts nicht nachweisen konnte, dass der Unfall bei der bereits vorhandenen Multiple Sklerose-Erkrankung einen weiteren akuten Schub ausgelöst und die Krankheit sich insgesamt verschlechtert hat.
Hinsichtlich der weiteren Erwägungen des LG wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Gegen dieses beiden Parteien am 12.3.2012 zugestellte Urteil haben sowohl der Kläger als auch die Beklagte mit jeweils einem beim OLG München am 10.4.2012 (Bl. 241/242 d.A.) sowie am 12.4.2012 (Bl. 243/244 d.A.) eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese, die Beklagte nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist, mit beim OLG München am 9.5.2012 (Bl. 247/254 d.A...