Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufklärungspflicht eines Tierarztes
Leitsatz (amtlich)
Die Aufklärungspflicht des Tierarztes ggü. dem Pferdehalter stellt eine Nebenpflicht aus dem Behandlungsvertrag dar, die das Ziel hat, Letzterem die Abwägung der Folgen und Risiken der Behandlung ggü. den Behandlungskosten und dem Wert des Tieres zu ermöglichen. Ihre Verletzung kann einen Schadenersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung begründen.
Die Beweislast für die objektive Verletzung der Aufklärungspflicht und die Kausalität dieser Unterlassung für den Eintritt des Schadens trägt der Tierhalter, wobei bei der Prüfung des hypothetischen Kausalverlaufs auf die Entscheidung eines rational handelnden, wirtschaftlich denkenden Eigentümers abzustellen ist. Die Rechtsprechung zur Eingriffsaufklärung in der Humanmedizin ist auf die Haftung des Tierarztes nicht anwendbar.
Auf eine Operationssterblichkeit von 0,9 % aller Fälle muss ein Tierarzt vor einem Eingriff an einem Pferd hinweisen, ohne dass - außer auf ausdrückliche Rückfrage - eine genaue Prozentangabe erforderlich ist. Soweit die Zahl der tödlichen Zwischenfälle in seiner eigenen Klinik noch darunter liegt, ist es nicht zu beanstanden, wenn er dieses Risiko als "gering" bezeichnet.
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 15.01.2003; Aktenzeichen 25 O 15373/01) |
Tenor
I. Die Berufung der Klägerinnen gegen das Endurteil des LG München I vom 15.1.2003 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerinnen tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerinnen können die Vollstreckung durch die Beklagten durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn die Beklagten nicht vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerinnen machen als Erbinnen ihres während des Rechtsstreits verstorbenen Ehemannes bzw. Vaters Schadenersatzansprüche wegen des Todes von dessen Pferd "Chronograph" in der Tierklinik der Beklagten geltend.
Bei Chronograph handelte es sich um einen sog. Spitzhengst, den ... als Wallach erworben hatte, der aber noch einen Hoden in der Bauchhöhle besaß. Spitzhengste können mit zunehmenden Alter bösartig werden. Deshalb wollte ... ihn kastrieren lassen.
Er wandte sich auf Empfehlung des ihm bekannten Tierarztes ... an die Beklagten. Bei einem Vorgespräch riet der Beklagte zu 3) zu einer operativen Entfernung des Hodens mittels Laparoskopie, da das bei einer Operation grundsätzlich vorhandene Risiko hierdurch verkleinert werde.
Die Klägerin zu 1) brachte Chronograph am Mittag des 25.8.1998 zur Klinik der Beklagten. Unmittelbar nach der Anlieferung legte ein Stallbursche dem Pferd einen Maulkorb an und wies darauf hin, dass es bis zur Operation nichts mehr zu fressen bekäme.
Der von der Klägerin zu 1) am 25.8.2003 unterzeichnete "Aufnahmeschein" der Tierklinik enthält auf der Rückseite vorformulierte "Aufnahmebedingungen". Im Abschnitt "Behandlung" heißt es am Ende: "Über Behandlungs-, Operations- und Narkoserisiken ist der Besitzer/Eigentümer aufgeklärt worden".
Die Behandlungsunterlagen der Beklagten weisen die Art der Fütterung von Chronograph in den Folgetagen nicht aus. Es findet sich nur eine allgemeine Festlegung zur Fütterung mit "Heu", "Pellets" und "Müsli".
Bei der Kotuntersuchung stellten die Beklagten einen massiven Wurmbefall des Pferdes fest. Eine genauere Bestimmung der Würmer, insb. ob es sich um sog. große oder kleine Strongyliden handelte, nahmen die Beklagten nicht vor.
Am Nachmittag des 28.8.1998 erfolgte die laparoskopische Entfernung des Hodens aus der Bauchhöhle in Vollnarkose.
Am 29.8.1998 wurde das Pferd angefüttert. Zur Behandlung des Wurmbefalls verabreichten die Beklagten intramuskulär 10 ml des Präparats Ivomec.
Am 30.8.1998 entwickelte sich bei Chronograph eine Kolik. Die Beklagten nahmen mit Einwilligung von ... eine Notoperation vor, die das Pferd nicht überlebte. Todesursache war eine Typhlocolitis (Entzündung des Blind- und Dickdarms).
... hat vorgebracht, die Beklagten hätten dadurch gegen ihre Aufklärungspflicht verstoßen, dass sie nicht darauf hingewiesen hätten, dass der laparoskopische Eingriff mit dem erheblichen Risiko einer Entwicklung von Typhlocolitis X verbunden sei.
Die Beklagten hätten Chronograph vor der Operation vier Tage lang hungern lassen, was das Auftreten der Typhlocolitis X begünstigt habe. Maximal zulässig sei eine Hungerzeit von zwei Tagen.
Bei der Anfütterung nach der Operation habe das Pferd einen halben Ballen Heu auf einmal zum Fressen erhalten.
Die intramuskuläre Gabe von Ivomec am Tag nach der Operation sei fehlerhaft. Die Durchführung der Operation vor der Wurmbehandlung sei mit einem erhöhten Risiko verbunden.
Chronograph habe einen Wert von mindestens 40.000 DM gehabt. Es handele sich um ein reinrassiges, ausgebildetes Pferd mit Turniererfahrung. Ersetzen müssten die Beklagten auch die an sie gezahlten Behandlungskosten von 1.916,32 DM, Medikamente für 87 DM, Transportkosten von 350 DM ...