Leitsatz (amtlich)
Wer als Vorfahrtsberechtigter auf der Autobahn auf ein einfahrendes Fahrzeug, dessen Fahrer den Vorfahrtsberechtigten erkennen konnte, reaktionslos und zudem mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit auffährt, haftet für den Auffahrunfall überwiegend. Bei reaktionslosem Auffahren des Vorfahrtsberechtigten erscheint eine Haftungsverteilung von 2/3 zu 1/3 zu seinen Lasten angemessen.
Normenkette
StVG § 7; StVO § 18 Abs. 3; BGB § 823 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Landshut (Entscheidung vom 24.04.2009; Aktenzeichen 74 O 2610/08) |
Tenor
1.
Auf die Berufung der Klägerin vom 07.05.2009 wird das Endurteil des LG Landshut vom 24.04.2009 (Az. 74 O 2610/08) in Nr. 1. und II. abgeändert wie folgt:
1. I.
Die Beklagten werden über Ziffer I. des Endurteils des LG Landshut vom 24.04.2009 hinaus verurteilt, an die Klägerin samtverbindlich weitere 2 794,82 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 29.08.2008 sowie nicht anrechenbare vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von weiteren 371,75 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 07.10.2008 zu bezahlen.
1. II.
Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Beklagten samtverbindlich 2/3 und die Klägerin 1/3.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
2.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten samtverbindlich 85% und die Klägerin 15%.
3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A.
Die Beklagten haben einen in der mündlichen Verhandlung vom 04.09.2009 geschlossenen, bis 25.09.2009 widerruflichen Vergleich mit beim Oberlandesgericht am 23.09.2009 eingegangenem Schriftsatz widerrufen. Im Übrigen wird von der Darstellung des Tatbestandes abgesehen (§§ 540 II, 313a 11 ZPO i. Verb.m. § 26 Nr. 8 EGZPO).
B.
Nachdem die Beklagten den in der mündlichen Verhandlung geschlossenen Vergleich form- und fristgerecht widerrufen haben, war über die Berufung der Klagepartei zu entscheiden. Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache überwiegend Erfolg.
I.
Das Landgericht ist zu Unrecht von einer überwiegenden Haftung der Klagepartei und einer Mithaftung der Beklagten von nur 20% ausgegangen und hat darüber hinaus den Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten unzutreffend berechnet.
Das Landgericht hat nach durchgeführter Beweisaufnahme aus der nicht zu beanstandenden Beweiswürdigung die falschen rechtlichen Schlüsse gezogen.
I. 1.
Da das Fahrzeug der Klägerin bei dem Zusammenstoß mit dem Fahrzeug des Beklagten zu 1) durch dieses beschädigt wurde, kommt grundsätzlich ein Anspruch der Klägerin aus § 7 I StVG und, da ein Verschulden des Beklagten zu 1) vorliegt, aus § 823 I BGB in Betracht. Dass der Unfall durch höhere Gewalt (§ 7 II StVG) verursacht worden sei, wird von keiner Partei geltend gemacht. Andererseits liegt auch ein Verkehrsverstoß der Klägerin vor.
I. 1. a.
Der Senat ist nach § 529 I Nr. 1 ZPO an die Beweiswürdigung des Erstgerichts gebunden, wenn nicht konkrete Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Beweiswürdigung (das sind ein unrichtiges Beweismaß, Verstöße gegen Denk- und Naturgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, Widersprüche zwischen einer protokollierten Aussage und den Urteilsgründen sowie Mängel der Darstellung des Meinungsbildungsprozesses wie Lückenhaftigkeit oder Widersprüche, vgl. zuletzt BGH VersR 2005, 945 = DAR 2005, 441; Senat in stRspr., etwa Urt.v. 01.12.2006 - 10 U 4707/06 m.w.N.) vorgetragen werden. Konkreter Anhaltspunkt in diesem Sinn ist jeder objektivierbare rechtliche oder tatsächliche Einwand gegen die erstinstanzlichen Feststellungen ( BGHZ 159, 254 [258]; NJW 2006, 152 [153]; Senat a.a.O.); bloß subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte genügen nicht (BGH a.a.O.; Senat a.a. Ein solcher konkreter Anhaltspunkt für die Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Beweiswürdigung besteht nicht.
Im Einzelnen:
Das Landgericht hat sich nach durchgeführter Beweisaufnahme, wobei es zutreffend das Beweismaß des § 286 I 1 ZPO zugrundegelegt und die insoweit geltenden Regeln beachtet hat, die Überzeugung gebildet, dass die Klägerin mit dem Einfahrvorgang in die Autobahn bereits nach 50 m Fahrt auf der Beschleunigungsspur begann und bei Ende des Spurwechsels der Abstand zwischen den unfallbeteiligten Fahrzeugen noch etwa 65 m betrug. Auf Grund der Angaben der Klägerin, ihres Beifahrers, des unbeteiligten Zeugen G. und den Berechnungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. H. gelangte das Landgericht weiter bei einer Ausgangsgeschwindigkeit der Klägerin zu Beginn des Einfahrvorganges von ca. 80 km/h und - insoweit ausgehend von den eigenen Angaben des Beklagten zu 1) - einer Annäherungsgeschwindigkeit von ca. 160 km/h des Beklagten zu 1) zu dem Ergebnis, dass der Abstand zwischen den Fahrzeugen bei erkennbarem Beginn des Wechsels von der B...