Leitsatz (amtlich)
1. Macht ein Patient im Arzthaftungsprozess sowohl einen Schmerzensgeld- als auch einen Feststellungsanspruch geltend, ist ein (Teil-)Grundurteil ausschließlich über den Schmerzensgeldanspruch unzulässig.
2. Spielen streitige Äußerungen des Patienten ggü. früheren behandelnden Ärzten für die Beurteilung eines ernsthaften Entscheidungskonflikts eine Rolle, ist die Forderung nach Entbindung dieser Ärzte von der Schweigepflicht grundsätzlich gerechtfertigt.
Normenkette
ZPO §§ 301, 538 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 03.06.2005; Aktenzeichen 10 O 12458/03) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten hin wird das Grundurteil des LG München I vom 3.6.2005 aufgehoben und der Rechtsstreit zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das LG München I zurückverwiesen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden niedergeschlagen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger verlangt von der Beklagten, einer Zahnärztin, wegen behaupteter fehlerhafter Behandlung Schmerzensgeld, die Rückzahlung von gezahlter Vergütung und die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige, durch die Fehlbehandlung verursachte materielle und immaterielle Schäden.
Der im Jahr 1967 geborene Kläger, der unter Zahnschmerzen litt, begab sich im Jahr 2001 zu der Beklagten in Behandlung. Die Beklagte überprüfte mittels Kältetest die Vitalität der Zähne des Klägers und stellte fest, dass 5 von 11 Zähnen im Oberkieferbereich noch vital waren. Drei der vitalen Zähne waren nach der Beurteilung der Beklagten erhaltungsfähig. Am 10.10.2001 entfernte die Beklagte sämtliche noch vorhandenen 11 Oberkieferzähne des Klägers. Beim Zahn Nr. 23 blieb ein Wurzelrest im Oberkiefer, der in der Folgezeit in der Zahnklinik entfernt werden musste. Der Kläger zahlte für die Behandlung einen Eigenanteil von 880,51 EUR an die Beklagte.
Der Kläger hat behauptet, die Behandlung der Beklagten sei aus mehreren Gründen fehlerhaft. Die Beklagte habe den Kläger vor der Extraktion der Zähne weder über mögliche Behandlungsalternativen noch über die Intensität und die Folgen des Eingriffs aufgeklärt. Wäre der Kläger richtig aufgeklärt worden, hätte er den Eingriff nicht vornehmen lassen. Die Beklagte habe außerdem vor der Extraktion keine ausreichende Befunderhebung durchgeführt. Sie habe keine aktuellen Röntgenbilder gefertigt und ohne medizinisch nachvollziehbare Diagnose und ohne Notwendigkeit sämtliche Oberkieferzähne entfernt. Sie habe insb. auch nach ihrer Einschätzung erhaltungsfähige Zähne gezogen. Die Extraktion von 11 Zähnen hätte nicht ambulant, sondern in einer Klinik durchgeführt werden müssen. Als grober Behandlungsfehler sei zu werten, dass bei einem Zahn ein Teil der Wurzel im Kiefer verblieben sei. Die von der Beklagten angefertigte Prothese habe nicht gepasst und sei Ursache für Entzündungen gewesen.
Durch die fehlerhafte Behandlung habe der Kläger starke Schmerzen, eine Kehlkopfentzündung und eitrige Infektionen im Mund und Rachenraum erlitten. Von 10.10.2001 bis 20.11.2001 sei er deshalb arbeitsunfähig krank gewesen. Als er wegen der Beschwerden in die Praxis gekommen sei, habe die Beklagte nicht die gebotenen Nachuntersuchungen und Nachbehandlungen durchgeführt, sondern ihn bloß vertröstet. Der Kläger habe sich wegen der akuten Beschwerden in die Zahnklinik begeben müssen, dort seien vier Nachoperationen nötig gewesen, um die im Kiefer verbliebene Wurzel zu entfernen. In der Folgezeit seien noch weitere Nachbehandlungen und operative Eingriffe zur Entfernung von Wurzelresten und spitzen Knochenhäuten notwendig gewesen, da die Beklagte nicht fachgerecht gearbeitet habe. Noch heute habe der Kläger Beschwerden. Er müsse eine Prothese tragen, die ständig Schmerzen verursache.
Der Kläger hat beantragt,
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 880,51 EUR zu zahlen, nebst 5 % Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit.
2. Die Beklagte wird ferner verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, das 20.000 EUR nicht unterschreiten sollte, nebst 5 % Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte weiteren zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden aufgrund der ärztlichen Fehlbehandlung vom 10.10.2001 an den Kläger zu ersetzen hat.
Die Beklagte hat beantragt, Klageabweisung.
Die Beklagte hat vorgebracht, sie habe den Kläger sorgfältig untersucht und mit ihm verschiedene Behandlungsmöglichkeiten besprochen. Aktuelle Röntgenbilder habe sie nicht benötigt, da ihr Röntgenbilder früherer Zahnärzte vorgelegen hätten. Sie habe dem Kläger erläutert, dass eine Teleskopprothese, Implantate oder eine Totalprothese in Betracht käme. Auch Alternativen, Risiken und Folgen seien besprochen worden, dies sei zudem üblich in ihrer Praxis. Eine Erhaltungsdiagnostik bzw. -therapie sei vom Kläger abgelehnt worden. Er habe bereits früher Wurzelbehandlungen gehabt, die ihm erhebliche gesundh...