Entscheidungsstichwort (Thema)

Verkehrsunfall - Kollision eines Pkw mit einer Trambahn

 

Leitsatz (amtlich)

Kommt es auf einem Straßenbahnübergang zu einer Kollision einer Straßenbahn mit einem dort wendenden Pkw, so tritt die Betriebsgefahr der Straßenbahn gegenüber dem groben Verschulden des Kraftfahrers völlig zurück.

 

Normenkette

HPflG § 1 Abs. 1, § 4; StVO § 9 Abs. 1, § 10; ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

LG München I (Urteil vom 09.09.2016; Aktenzeichen 17 O 21609/15)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten zu 2) vom 13.10.2016 wird das Endurteil des LG München I vom 09.09.2016 (Az. 17 O 21609/15) in Nr. 1. und 2. abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.710,97 EUR festgesetzt.

 

Gründe

A. Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313a I 1 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO).

B. Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.

I. Das LG hat nach Auffassung des Senats zu Unrecht einen Anspruch des Klägers bejaht. Ausgehend vom Ergebnis der Beweisaufnahme gelangt der Senat vorliegend zu einer alleinigen Haftung der Klagepartei für die Folgen des streitgegenständlichen Verkehrsunfalles.

1. Der Senat ist nach § 529 I Nr. 1 ZPO an die Beweiswürdigung des Erstgerichts gebunden, weil keine konkreten Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Beweiswürdigung vorgetragen werden. Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Beweiswürdigung sind ein unrichtiges Beweismaß, Verstöße gegen Denk- und Naturgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, Widersprüche zwischen einer protokollierten Aussage und den Urteilsgründen sowie Mängel der Darstellung des Meinungsbildungsprozesses wie Lückenhaftigkeit oder Widersprüche, vgl. zuletzt BGH VersR 2005, 945; Senat in st. Rspr., u.a. Urt. v. 9.10.2009 - 10 U 2965/09 [juris] und v. 21.6.2013 - 10 U 1206/13). Konkreter Anhaltspunkt in diesem Sinn ist jeder objektivierbare rechtliche oder tatsächliche Einwand gegen die erstinstanzlichen Feststellungen (BGHZ 159, 254 [258]; NJW 2006, 152 [153]; Senat, a.a.O.); bloß subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte genügen nicht (BGH, a.a.O.; Senat, a.a.O.). Ein solcher konkreter Anhaltspunkt für die Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Beweiswürdigung ist von der Berufung nicht aufgezeigt worden. Danach ist es ebenso möglich, dass die Zeugin L. unmittelbar vor der herannahenden Straßenbahn in den Gleisbereich einfuhr wie auch, dass sie dort bereits längere Zeit, nämlich 8 bis 10 Sekunden stand.

2. In rechtlicher Hinsicht besteht zunächst eine Haftung der Beklagten nach § 1 I HPflG, die um Mitverschuldens- und Verursachungsbeiträge der Fahrerin, als derjenigen, die die tatsächliche Gewalt über den Pkw ausübte, zu kürzen ist, § 4 HPflG. Maßgeblich für die Abwägung und eine in Betracht zu ziehende Alleinhaftung der Klagepartei unter Zurücktreten der Betriebsgefahr der Trambahn ist die Schwere des Verschuldens. Insoweit kommt es darauf an, ob der Pkw erst kurz vor der Trambahn in den Gleisbereich einfuhr, wie weit diese entfernt war und insbesondere ob sie bei Einfahren in den Gleisbereich erkennbar war.

a) Wegen eines Wendemanövers greift zulasten der Klagepartei ein Anscheinsbeweis ein. Die Erwägungen des LG beruhen auf einem Missverständnis der zitierten Entscheidung BayObLG Az. 2 ObOwi 286/96 (Juris). Zwar liegt kein Wenden auf einer Kraftfahrstraße vor, wenn lediglich zur Mitte orientiert angehalten wird, um zu wenden, eben weil für ein Wenden ausweislich der Entscheidungsgründe des BayObLG zumindest das Einschlagen des Steuers und der Beginn der Richtungsänderung, also das Anfahren in die angestrebte neue Fahrtrichtung erforderlich ist. Diese Voraussetzungen waren aber vorliegend augenscheinlich gegeben, ausweislich der polizeilichen Lichtbilder muss schon zum Kollisionszeitpunkt eine deutliche Richtungsänderung nach links vorgenommen worden sein, um zu wenden. Die Frage der Plötzlichkeit ist erst bei der Prüfung einer Vermeidbarkeit für den Unfallgegner aus dem Gesichtspunkt der verspäteten Reaktion von Bedeutung, vgl. OLG Hamm, Urt. v. 16.12.1993, Az. 27 U 173/93, ZfS 1994, 201.

Weiter liegt ein Verstoß der Zeugin gegen § 9 I 3 StVO vor. Die Trambahn war angesichts der geraden, nach Norden uneingeschränkt einsichtigen Streckenführung und der etwa 250 m entfernten Haltestelle in jedem Fall bei Einfahren in den Gleisbereich sichtbar, auch wenn die Zeugin bereits 8 Sek. oder 10 Sek. vor der Kollision auf den Gleisen stand.

Der Verweis auf § 10 StVO hilft dagegen nicht weiter, da das Anfahren für den Unfallhergang nicht kausal ist, stand der Pkw danach doch zunächst an der Rotlicht zeigenden Ampel.

b...

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