Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftungsverteilung bei Verkehrsunfall infolge Vorfahrtsverletzung an atypischer Kreuzung ohne Verkehrszeichenregelung

 

Normenkette

StVO § 1 Abs. 2, § 2 Abs. 2, § 8 Abs. 1; StVG § 17 Abs. 1-2; VVG § 115 Abs. 1 S. 4; EGZPO § 26 Nr. 8

 

Verfahrensgang

LG München I (Urteil vom 03.08.2015; Aktenzeichen 19 O 18494/14)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten vom 20.08.2015 wird das Endurteil des LG München I vom 03.08.2015 (Az.: 19 O 18494/14) abgeändert und wie folgt neugefasst:

I. Die Beklagten werden verurteilt, an die Klägerin samtverbindlich 8.840,59 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 08.10.2014 sowie vorprozessuale Rechtsanwaltskosten in Höhe von 679,10 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 08.10.2014 zu bezahlen.

II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

III. Von den Kosten des Rechtsstreits (erster Instanz) tragen die Klägerin 30 % und die Beklagten samtverbindlich 70 %.

2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

3. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin 13 % und die Beklagten samtverbindlich 87 %.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

A. Von einer Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313a I 1 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO).

B.I. Die statthafte, sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung (der Beklagten) hat in der Sache teilweise Erfolg. Die Beklagten schulden der Klägerin, entgegen dem Ersturteil, nur 8.840,59 EUR (nebst Zinsen) sowie vorprozessuale Anwaltskosten in Höhe von nur 679,10 EUR (nebst Zinsen). Dies folgt daraus, dass nach dem Ergebnis der in der Berufungsinstanz durchgeführten Beweisaufnahme zur Überzeugung des Senats feststeht, dass zum einen die Beklagte zu 2) einen Vorfahrtverstoß gem. § 8 I 1 StVO begangen hat und dass zum anderen der klägerische Fahrer, der Zeuge H., unmittelbar vor der Kollision eine Fahrlinie nahezu vollständig auf der Gegenfahrbahn gewählt hat. Entgegen der Ansicht des Erstgerichts ist der Haftungsanteil der Klägerin dabei nicht nur mit 1/3 (so das Erstgericht), sondern mit 50 % zu bewerten. Im Einzelnen:

1.) Zur Haftung dem Grunde nach:

Vorliegend ist eine Haftungsverteilung i.S.d. § 17 I, II StVG von ½ zu ½ angemessen, wobei die Beklagten gem. § 115 I 4 VVG samtverbindlich haften.

a) Der Beklagten zu 2) liegt ein Vorfahrtverstoß gem. § 8 I 1 StVO zur Last. Denn, worauf vom Senat auch bereits in der Sitzung vom 23.09.2016 hingewiesen worden ist, verhält es sich - aufbauend auf den überzeugenden Angaben des Sachverständigen Dipl.-Ing. K., welcher dem Senat aus einer Vielzahl von Beauftragungen als besonders sachkundig bekannt ist - zwar so, dass das Beklagtenfahrzeug schon relativ weit in die Westermühlstraße eingebogen war, dass dennoch die Sichtmöglichkeiten für beide Kraftfahrer erst so spät gegeben waren, dass eine Abwehrreaktion für beide Kraftfahrer nicht mehr möglich war. Dies lag daran, dass sich die Beklagte zu 2) nicht, wie angesichts der atypischen Kreuzungsgestaltung mit schwierigen Sichtbedingungen geboten (vgl. auch die Angaben des o.g. Sachverständigen auf S. 5/6 des Protokolls der o.g. Sitzung = Bl. 121/122 d.A.), mit Schrittgeschwindigkeit in den Kreuzungsbereich hinein getastet hatte, sondern, wie von ihr selbst eingeräumt, in einem Zug abbog, auch wenn sie dabei nicht, wie von ihr geschätzt, mit ca. 40 km/h fuhr, sondern nur mit ca. 20 km/h (vgl. abermals die Ausführungen des o.g. Sachverständigen). Hätte sich die Beklagte zu 2) ordnungsgemäß mit Schrittgeschwindigkeit in den Kreuzungsbereich hineingetastet, hätte sie noch rechtzeitig den klägerischen Pkw erkennen und durch ein Unterlassen der Weiterfahrt den Unfall vermeiden können.

Entgegen der Ansicht der Beklagten handelt es sich bei der Verschneidung von Westermühlstraße und Klenzestraße um eine Kreuzung. Kreuzungen sind die Schnittflächen zweier oder mehrerer sich schneidender Fahrbahnen verschiedener Straßen, die sich jenseits, unter Umständen auch seitlich versetzt, fortsetzen (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 8 StVO, Rdnr. 33). Aufgrund der jeweiligen seitlichen Versetzung beider Straßen kann vorliegend von einer "atypischen" Kreuzung gesprochen werden; dies ändert jedoch nichts daran, dass es sich um eine Kreuzung handelt. Im Übrigen: Würde man hier nicht von einer Kreuzung ausgehen, so könnte stattdessen nur eine Einordnung als eine jeweilige Einmündung vorgenommen werden, mit demselben rechtlichen Folgen: Auch bei Einmündungen hat gem. § 8 I StVO die Vorfahrt, wer von rechts kommt, hier als aus Sicht der Beklagten zu 2) der klägerische Fahrer, und nicht umgekehrt.

Im Zeitpunkt der Kollision befand sich - ausweislich der vom Sachverständigen als Anlagen 1 und 6 zu Protokoll der o.g. Sitzung übergebenen Unfallskizzen - der Pkw noch nicht außerhalb des Kreuzungs- bzw. Einmündungsbereichs im blo...

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