Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatz wegen Verkehrssicherungspflichtverletzung nach Sturz wegen Nässe im Ausgangsbereich eines Supermarkts
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Kläger ist nicht gehalten, seine Klage in eine Leistungs- und eine Feststellungsklage aufzuspalten, wenn bei Klageerhebung ein Teil des Schadens schon entstanden, die Entstehung des weiteren Schadens aber noch zu erwarten ist. Er kann in diesem Fall vielmehr in vollem Umfang Feststellung der Ersatzpflicht begehren.
2. Der Betreiber eines Ladengeschäfts kann im Rahmen seiner Verkehrssicherungspflicht gehalten sein, bei nasser Witterung einen Reinigungs- und Wischdienst einzusetzen, wenn die Gefahr besteht, dass der Ein- und Ausgangsbereich infolge eingetragener Nässe rutschig wird.
3. Stürzt ein Kunde auf nassem Boden, weil einerseits der Betreiber des Ladengeschäfts der dargestellten Verkehrssicherungspflicht nicht nachgekommen ist, andererseits der Kunde nicht das angesichts der schlechten Witterungsverhältnisse gebotene gesteigerte Maß an Aufmerksamkeit aufgebracht hat, so kann es richtig sein, den Mitverschuldensanteil des Kunden mit nicht mehr als 25 % zu bemessen.
Normenkette
BGB § 280 Abs. 1, §§ 433, 823 Abs. 1; ZPO § 256 Abs. 1
Verfahrensgang
LG München II (Urteil vom 02.09.2016; Aktenzeichen 14 O 3548/15) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird der Tenor des Urteils des LG München II vom 2.9.2016, Az. 14 O 3548/15, in Ziffer 1 abgeändert und - teilweise zur Klarstellung - neu gefasst:
"Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin 75 % aller materiellen Schäden sowie die immateriellen Schäden aus dem Unfallgeschehen vom 29.12.2014 in der W.-Filiale der Beklagten in G., B. str. 37,... G. unter Berücksichtigung einer Mitverschuldensquote von 25 % zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen."
2. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG München II vom 2.9.2016, Az. 14 O 3548/15, zurückgewiesen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des LG München II ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 22.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten um die Verpflichtung der Beklagten zur Leistung von Schadensersatz aus einem Unfallgeschehen.
Am 29.12.2014 gegen 11 Uhr kam die Klägerin, die beidseitig eine Kniegelenksprothese trägt, beim Verlassen der Filiale der Beklagten in der B. straße 37,... G., ca. 1,5 bis 2 m vor der im Ausgangsbereich ausgelegten Schmutzfangmatte zu Fall und verletzte sich schwer. Am Unfalltag hatte es in G. seit dem frühen Morgen stark geschneit, die Neuschneedecke betrug in der B. straße ca. 15 cm. In der Filiale der Beklagten hatte seit Ladenöffnung um 9 Uhr starker Kundenandrang geherrscht, wodurch es zum Eintrag von Schneematsch und Nässe in den mit Fliesen oder einem fliesenähnlichen Belag ausgestatteten Eingangsbereich des Geschäfts gekommen war. Eingetragener Matsch und Nässe beschränkten sich dabei nicht auf den Bereich der Schmutzfangmatten. Die Beklagte hat über ihre Haftpflichtversicherung Schadensersatzansprüche der Klägerin dem Grunde nach zurückweisen lassen.
Die Klägerin hat vor dem LG die Auffassung vertreten, dass die Beklagte für das Sturzgeschehen verantwortlich sei, weil sie zu wenig Schmutzfangmatten ausgelegt und diese nicht regelmäßig ausgetauscht habe. Ein Trockenwischen des Bodens durch Mitarbeiter der Beklagten sei vor dem Unfall nicht erfolgt. Auch sei in der Filiale kein geeigneter Fußboden verlegt gewesen. Der Gehweg vor dem Geschäft sei keineswegs geräumt worden, sondern lediglich die Schneedecke mit Splitt bestreut. Die Klägerin war deshalb der Ansicht, dass die Beklagte den gesamten aus dem Sturzgeschehen entstandenen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen habe. Sie hat gemeint, ihr könne kein Mitverschulden angelastet werden. Denn sie habe angemessenes Schuhwerk getragen, die eingetragene Nässe, aufgrund derer sie ausgerutscht sei, sei transparent und nicht deutlich sichtbar gewesen. Warnschilder habe es am Unfallort nicht gegeben. Die Klägerin hat behauptet, sie habe durch den Sturz eine Luxation des künstlichen Kniegelenks sowie einen Einriss der im Bereich der Kniekehle verlaufenden Schlagader erlitten und sich langwierig stationär sowie in einer Pflegeeinrichtung behandeln lassen müssen. Auch heute noch leide sie an behandlungsbedürftigen Nervenschmerzen und sei gehbehindert. Eine Prognose sei nicht möglich.
Die Beklagte hat vor dem LG vorgetragen, ihre Mitarbeiter...