Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatzanspruch, Kaufpreis, Berufung, Bescheid, Fahrzeug, Annahmeverzug, Software, Sittenwidrigkeit, Nebenbestimmung, Anspruch, Bereicherungsanspruch, Rechtsverfolgungskosten, Halter, Patentverletzung, Zug um Zug, unerlaubte Handlung, teleologische Reduktion
Verfahrensgang
LG Traunstein (Urteil vom 03.02.2021; Aktenzeichen 6 O 1450/20) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 03.02.2021, Az. 6 O 1450/20 aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 15.853,85 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 06.10.2020 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeuges VW Tiguan mit der ...863.
3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeuges VW Tiguan mit der ...863 im Annahmeverzug befindet.
4. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ihrer Prozessbevollmächtigten in Höhe von EUR1.100,51 freizustellen.
5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
6. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
7. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte 77%, die Klägerin trägt 23%.
8. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung der jeweiligen Gegenpartei jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweilige Gegenpartei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
9. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Die Klagepartei macht einen Schadensersatzanspruch im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Dieselfahrzeugs geltend. Die Beklagte ist die Herstellerin des Motors vom Typ EA189 des streitgegenständlichen Fahrzeugs.
Die Klagepartei erwarb das streitgegenständliche Fahrzeug am 25.04.2013 von einem Händler zu einem Kaufpreis von EUR 32.189,51. Es handelte sich um einen Neuwagen. Das Fahrzeug ist vom sogenannten Abgasskandal betroffen, da in ihm eine Software verbaut ist, welche bewirkt, dass es im Abgasrückführungsmodus 1, der im NEFZ aktiv ist, zu einer höheren Abgasrückführungsrate kommt. Die vom Motorhersteller installierte Software, die für die Abgaskontrollanlage zuständig ist, erkennt dabei die Prüfungssituation durch ein unnatürliches Fahrverhalten. Bei diesen Bedingungen ist die Abgasaufbereitung so optimiert, dass möglichst wenig Stickoxide entstehen. Im normalen Fahrbetrieb hingegen sind die Abgasaufbereitung und -rückführung so gestaltet, dass die Stickoxid-Emissionen erheblich höher sind. Das Fahrzeug wurde in die Schadstoffklasse Euro 5 eingeordnet, da die nach dieser Abgasnorm geltenden Stickoxid-Grenzwerte auf dem Prüfstand eingehalten wurden. Am 22.09.2015 gab die Beklage eine Ad-hoc-Mitteilung heraus, in der sie auf Unregelmäßigkeiten bei der Steuerungssoftware von Diesel-Motoren hinwies. Durch das Kraftfahrzeugbundesamt (KBA) wurde mit Bescheid vom 15.10.2015 dieses Programm als unzulässige Abschalteinrichtung eingeordnet, zugleich wurde durch das KBA eine nachträgliche Nebenbestimmung für die jeweils erteilte Typgenehmigung angeordnet, dergestalt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die unzulässigen Abschalteinrichtungen zu entfernen sowie geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen. Im Jahr 2016 wurden die Halter von Fahrzeugen mit EA189-Motor von der Beklagten angeschrieben, auf den Rückruf hingewiesen und in der Folge zur Durchführung eines Softwareupdates aufgefordert.
Am Musterfeststellungsverfahren vor dem OLG Braunschweig (Az. 4 MK 1/18) hat sich die Klagepartei nicht beteiligt.
Am 16.09.2021 wies das Fahrzeug einen Kilometerstrand von 126.871 auf.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands sowie der Anträge erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das Landgericht Traunstein hat die Klage durch Endurteil vom 03.02.2020 abgewiesen. Das Endurteil wurde der Klagepartei am 03.02.2021 zugestellt. Mit Schriftsatz ihres Prozessvertreters vom 24.02.2021 legte die Klagepartei gegen das Endurteil Berufung ein. Die Berufung wurde mit weiterem Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 06.04.2021, eingegangen am selben Tag, begründet.
Die Klagepartei stützt ihre Berufung darauf, das Landgericht sei rechtsfehlerhaft von der Verjährung der klägerischen Ansprüche ausgegangen. Die Klagepartei habe in den Jahren 2015 und 2016 keine grob fahrlässige Unkenntnis vor den anspruchsbegründenden Tatsachen gehabt. Die Klageerhebung sei in dem genannten Zeitraum nicht zumutbar gewesen, weil die Rechtslage nicht geklärt gewesen sei.
Mit der Berufung macht die Klagepartei weiter geltend, dass selbst für den Fall, dass Verjährung eingetreten sei, ein unverjährter Anspruch nach § 852 BGB auf Ersatz des Restschadens gegeben sei. Die Beklagte habe durch unerlaubte Handlung auf Kosten der Klagepartei etwas erlangt. Der Anspruch, bei dem es sich um einen Bereicherungsanspruch handel...