Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Löschung einer Grunddienstbarkeit wegen Wegfall des Vorteils
Leitsatz (amtlich)
1. Begehren die Eigentümer von zwei Grundstücken, auf denen Ende der 50er bzw. Anfang der 60er Jahre ein "Kartoffelkeller" mit Erdaufschüttung errichtet worden war und zu deren Lasten auf Duldung der Anlage gerichtete Grunddienstbarkeiten bestellt wurden, die Löschung dieser Grunddienstbarkeiten, tragen sie die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der für das herrschende Nachbargrundstück erstrebte Vorteil infolge grundlegender Änderung der tatsächlichen Verhältnisse oder der rechtlichen Grundlagen objektiv weggefallen ist.
2. Bei der Ermittlung dieses Vorteils ist von der Parteivereinbarung und von dem Zweck, der mit der Grunddienstbarkeit verfolgt wird, auszugehen; dabei ist maßgeblich eine objektive Betrachtung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls.
3. Besteht der mit der Grunddienstbarkeit gewährte Vorteil und verfolgte Zweck für das herrschende Grundstück der Beklagten (einer Brennereigenossenschaft) darin, dass der Betrieb einer Kartoffelbrennerei dadurch gefördert werden sollte, dass die für das Brennen angelieferten und zu verwendenden Kartoffeln in dem auf den Klägergrundstücken von der Genossenschaft in den 50er bzw. 60er Jahren des letzten Jahrhunderts errichteten Keller gelagert und von hieraus auf das Nachbargrundstück mittels Schwemmanlage verbracht werden, um dort zu Alkohol gebrannt zu werden - wie es der tatsächlichen, jahrzehntelangen Nutzung entsprach -, liegt ein objektiver und endgültiger Wegfall dieses Vorteils vor, wenn die Grunddienstbarkeit seit vielen Jahren nicht mehr ausgeübt wird, der Kartoffelkeller ungenutzt ist und verfällt, das landwirtschaftliche Brennrecht nicht mehr besteht, die Brenneinrichtung entfernt wurde, eine Kartoffelbrennerei wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll betrieben werden kann und insgesamt bei einem normalen Verlauf der Dinge nicht damit zu rechnen ist, dass künftig wieder eine Kartoffelbrennerei betrieben werden wird.
Normenkette
BGB §§ 894, 1019
Verfahrensgang
LG München I (Aktenzeichen 31 O 1173/18) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Landgerichts München I vom 22.01.2019, Az. 31 O 1173/18, aufgehoben.
2. a) Die Beklagte wird verurteilt, Löschungsbewilligung zu erteilen für das im Grundbuch des Amtsgerichts M. von A. Band ...8 Blatt ...79 Flurnummer ...47 Abteilung II lfd. Nr. 2 für die Grundstücke 2 und 5 eingetragene Recht: "Belassungsrecht des Kellers der angrenzenden Erdaufschüttung der Angrenzungsmauer und des Schwemmkanals, sowie Geh- und Fahrtrecht für den jeweiligen Eigentümer von Flurstück ...51 gemäß Bewilligung vom 30.03.1965".
b) Die Beklagte wird verurteilt, den Kartoffelkeller nebst Erdaufschüttung und Schwemmkanal auf dem Grundstück der Gemarkung A. eingetragen im Grundbuch des Amtsgerichts M. von A. Band ...8 Blatt ...79 Flurnummer ...47 zu beseitigen und den ursprünglichen Zustand des Grundstücks des Klägers zu 1) wiederherzustellen.
c) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 1) außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 3.137,91 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 01.02.2018 zu zahlen.
3. a) Die Beklagte wird verurteilt, Löschungsbewilligung zu erteilen für die im Grundbuch des Amtsgerichts M. von A. Band ...11 Blatt ...24 Abteilung II eingetragene Dienstbarkeit zugunsten der Beklagten: "Der Eigentümer dieses Grundstück duldet Belassung des Kartoffelkellerteiles samt Erdaufschüttung unter und über der Erde, der Angrenzungsmauer, des unterirdischen Schwemmkanals und das Gehen und Fahren wie in Ziffer II bezeichnet" gemäß Bewilligung vom 30.03.1965.
b) Die Beklagte wird verurteilt, den Kartoffelkeller nebst Erdaufschüttung und den Schwemmkanal auf dem Flurstück ...45 der Gemarkung A. eingetragen im Grundbuch des Amtsgerichts M. von A. Band ...11 Blatt ...24 zu beseitigen und den ursprünglichen Zustand des Grundstücks des Klägers zu 2) wiederherzustellen.
4. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers zu 1) hinsichtlich der Beseitigung des Kellers und Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands des Grundstücks durch Sicherheitsleistung in Höhe von 400.000,00 Euro abwenden, sofern nicht der Kläger zu 1) vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers zu 2) hinsichtlich der Beseitigung des Kellers und Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands des Grundstücks durch Sicherheitsleistung in Höhe von 400.000,00 Euro abwenden, sofern nicht der Kläger zu 2) vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
Hinsichtlich der Kosten sowie der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten des Klägers zu 1) kann die Beklagte die Vollstreckung der Kläger durch Sicherheitsleistung jeweils in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Kläger vor der ...